Genre Guide "JAZZ-World"

auch hier gibt es ein paar verschiedene Genres

Acid-Jazz
Acid-Jazz ist die Schubladendenken erweiternde Bezeichnung für alles, was groovt, swingt, jazzig, afro-amerikanisch- karibisch oder sonstwie tanzbar erscheint.

Seit der Londoner DJ Gilles Peterson Ende der Achtziger dieses Gummiwort erfand, funkelt es in der Medienlandschaft. Es ist seine smileybehaftete Bezeichnung für Musik, die in keine Stil-Schublade so richtig passen will. Funk-Soul-Reggae-Hippie- Rock-Hip-Hop-Jazz. Alles ist plötzlich Acid-Jazz.
Der Acid-Smiley ist längst vergessen, die Gallionsfiguren Galliano und Incognito dagegen halten wacker durch.
 
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Avantgarde
Das wirkt für einige wie ein Schlag ins Gesicht. Weil sie mit dieser Bezeichnung zur Armut verdammt werden. Wenn Avantgarde auf der CD-Hülle steht, schrecken die meisten vom Kauf zurück.

Avantgarde ist ein böses Wort geworden. In den Sechzigern und Siebzigern haben erfahrene Musiker wie Anthony Braxton oder das Art Ensemble of Chicago mit Sounds und Kompositionsformen experimentiert, die nur selten etwas vom musikalischen Niveau der Spieler verrieten. Dass Avantgarde in jenen Tagen zu einem Synonym für das Experimentelle und oft eben Nicht-Gelungene wurde, ist ein Problem, das bis heute wirkt. Ich kenne heute viele Bands, die immer noch so operieren, leider. Wenn ich das rieche, gehe ich lieber an die Bar oder in den nächsten Hip Hop-Laden, um mich nicht zu langweilen."
David Murray muss es wissen. Der Saxophonist, der in den 70ern die New Yorker Szene betritt, gilt als Vertreter des Modern Creative Jazz, oder Avantgarde, oder experimentelle Musik, oder Neue Musik oder so. Negativ besetzte Assoziation nennt man Murrays Mühsal mit der Schublade "Avantgarde". Denn ursprünglich meint sie etwas Gutes. Sofern einem Erneuerung, Wagnis, (Re-)Inkarnation und Kreativität liegen.

Avantgarde stammt aus dem Französischen und meint eine Gruppe von Vorkämpfern, eine Vorhut. Die Verwendung des Begriffs hat sich im Lauf der Zeit von seinem militärischen Hintergrund entfernt und kommt heute vor allem im schöpferischen Kontext zur Anwendung. Das Lexikon spricht von "künstlerischen Bewegungen zumeist des 20. Jahrhunderts, die eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts gemeinsam haben und sich durch besondere Radikalität auszeichnen."

Mit "Radikalität" assoziiert man schräge Töne, Formloses und Un(be)greifbares. Free Jazz gar. Oder Zwölftonmusik. Man denkt an "radikale" Attacken auf unsere Hörnerven und an Fußnägel, die sich einem aufrollen. Das schlimmste: all das ist wahr!

Was sagt die Enzyklopädie dazu? "Als Avantgarde wird Musik bezeichnet, die sich so weit vom Mainstream entfernt, dass sie in ihrer Andersartigkeit als experimentell empfunden wird." Oder: "Die avantgardistische Kunst tritt vor allem als antibürgerliche, bewusst provokante, betont innovative sowie stark selbstreflexiv orientierte Kunst auf." Pfui!

Im Kontext von populärer Musik treibt Avantgarde hauptsächlich im Jazz- und Rockbereich sein Unwesen. Immer wieder bemühen sich Bands in einem Anfall revolutionärem Erneuerungswillens um wirklich Neues. Es fallen Namen wie Einstürzende Neubauten, Björk, Sigur Rós, Tortoise, Fred Frith, Kraftwerk, die frühen Radiohead, Laurie Anderson, The Notwist, John Zorn, Vienna Art Orchestra, Bill Frisell, Marc Ribot oder Markus Stockhausen. Blickt man ein bis zwei Generationen zurück, stolpert man über Sun Ra, Frank Zappa, John Cage, Steve Reich, Brian Eno oder Philip Glass.

Alle unerwähnten Künstlerinnen und Künstler fallen dem Avantgarde-immanenten Schicksal der Nichtbeachtung zum Opfer. Anekdoten von genialen Künstlern, Wissenschaftlern und Musikern, die ihrer Zeit weit voraus waren, sind hinlänglich bekannt. Von einer breiten Akzeptanz meilenweit entfernt und in ihrem Genie nur von wenigen erkannt, bleibt ihnen Ruhm und Ehre zu Lebzeiten allzu oft verwährt. Das Los der Avantgarde!
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Bebop
"Jazz ist heute, einfach mal frei assoziiert, eine recht elitäre Sportart, der sich kluge Köpfe in verrauchten Kneipen hingeben. Der Bebop ist ein wichtiger Schritt zu diesem Bild" (elixic.de).

Klischees, wie sie im einleitenden Zitat Verwendung finden, bringen die Dinge ja oft auf den Punkt. Der Ruf des Jazz, Musik für Rotwein trinkende Intellektuelle zu sein, wurzelt tatsächlich im Bebop. Das prägnanteste Merkmal des Bebop ist wohl seine spektakulär schnelle Art und Weise auf den Instrumenten abzugehen. Liegt das Augenmerk im vorangehenden Swing auf der Big Band und den Arrangements, steht im Bebop der Solist im Zentrum des Geschehens.
Der Siegeszug des Bebop kommt einer musikalischen Revolution gleich, denn mit ihm gelingt dem Jazz der Schritt von bloßer Unterhaltungsmusik zur Kunst! Zeitpunkt dieses Bebens: ca. 1943 - Mitte der 50er.

Als Geburtsort des Bebop wird immer wieder das Minton's Playhouse erwähnt - eine Bar in New York, in der sich Montags abends ein paar Jazzmusiker treffen um sich in Jam-Sessions den Frust von der Seele zu spielen. Auch die Musiker, die später als die Pioniere des Bebop gelten, laufen sich dort über den Weg: Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Thelonious Monk und Max Roach.

Wo der Begriff Bebop herkommt, ist nicht ganz klar. Die Theorie, es handle sich um eine lautmalerische Vertonung eines typischen Jazzschlusses, ist wohl die Häufigste. Auch der Anfeuerungsruf "Arriba" wird von Wissenschaftlern als seine Quelle vermutet. Spekulationen hin oder her, mit "anfeuern" hat das Fantasiewort auf alle Fälle zu tun, und die Beliebtheit des Wortes steigt mit der Beliebtheit des neuen Sounds.

Die voran gegangene Epoche des Swing, in der große Big Bands in schicken Ballsälen für etliche Tanzwütige spielen, hat ihre Blütezeit bereits überschritten. Swing ist zu Beginn der Vierziger sehr kommerziell geworden, und unrentabel. Big Bands lösen sich auf und etliche Musiker werden für Kriegszwecke eingezogen. Die Übriggebliebenen haben entweder keine Jobs oder langweilen sich in Bands, deren Musik sie wegen mangelnder Herausforderung langsam leid sind. Aufnahmen werden 1942-44 wegen eines Streits der Musikergewerkschaft mit den Plattenfirmen auch nicht gemacht.

Die Entwicklung zum Bebop geschieht zwar nicht über Nacht - Anklänge des neuen Stils sind zum Teil schon während der Swing-Ära zu erkennen. Trotzdem trifft mit dem Erscheinen der ersten Platten 1944 dieser ungewöhnlich eigene Stil völlig unvermittelt auf ein breites Publikum. Auch etliche Musiker, darunter Louis Armstrong und Tommy Dorsey, sind schockiert, gewinnen dem (Be)Bop nichts ab und kritisieren an ihm die Abkehr von der Tanzmusik.

Andere dagegen finden in den Bebop-Musikern und deren neuen Ideen ihre Idole und beginnen schnell, ihnen nachzueifern. Dizzy Gillespie, mit Franzosenkäppi, fetter Brille und Ziegenbärtchen, wird für die Presse die ideale repräsentative Bop-Figur zum Vermarkten. Charlie Parkers Erfolg dagegen beschränkt sich vorwiegend auf New York. Dort allerdings wird in der Szene sein Anfangslick von "Parker's Mood" als Erkennungszeichen gepfiffen.

Musikalisch gesehen unterscheidet sich Bebop vor allem durch seine absolute Konzentration auf solistische Virtuosität von früheren Jazzstilen. In Combos mit 4-7 Leuten werden sogenannte "Head-Arrangements" gespielt. Es wird nur kurz der Ablauf besprochen, die Reihenfolge der Soli - dann rasen alle am Anfang und am Ende des Stückes einmal unisono durch das Thema, dazwischen bekommt jeder seinen Platz zu zeigen, was er kann. Häufig wird über bereits bekannte Standards improvisiert, die mit ein paar zusätzlichen, erweiterten Harmonien ausgestattet werden.

Eine der beliebtesten Formen der Bebopper, die "Rhythm-Changes", heißen nicht etwa so, weil sie Rhythmuswechsel beinhalten. Sie beruhen vielmehr auf den Harmonien von George Gershwins Song "I've Got Rhythm". Die Bebopper geben ihm einfach ein neues Kleid, indem sie über die gleiche Akkordstruktur eine neue Melodie, ein neues Thema erfinden - auch eine gute Möglichkeit beim Song-Klau Zensuren zu umgehen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Charlie Parker's "Anthropology".

Bebop-Themen und Improvisationen sind komplexe Gebilde, die in rasendem Tempo gespielt werden. Deswegen ist Bebop eine (fast) ausschließlich instrumentale Musik und seine Musiker spielen Töne, die im Jazz bis dato nicht benutzt wurden. Viel Chromatik wird verbraten, und eine dritte Blue Note, die "Flatted Fifth", taucht auf. Ihr Gebrauch wird zu einem Erkennungsklischee des Bebop. Der Drive, das halsbrecherische am Bebop rührt daher, dass sich auch in der Rhythmus-Section erstaunliche Wandlungen vollziehen - ganz abgesehen von neuen Tempovorstellungen. Der Bass walkt fast ausschließlich in schnellen Vierteln - der Schlagzeuger erlangt mehr Freiheit und feuert auf Becken und Bassdrum leicht außerplanmäßig wirkende Hammersynkopen los, sogenannte "Dropping Bombs".

Die Hochphase des Bebop endet gegen Mitte der fünfziger Jahre, als Miles Davis, auch ein Kind des Bebop, einen "Alternativ-Stil" populär macht - den Cool Jazz. Trotzdem ist Bebop im Jazz auch heute noch allgegenwärtig. Man wird auf jeder Jazz-Session ohne Probleme ganz typische Bebop-Merkmale finden, denn selbst 50 Jahre später scheinen Jazzmusikanten keinen Bock zu haben, die innovativen Ideen des Bebop aus ihrem Repertoire zu verbannen.
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Cool Jazz
Die Geschichte, die wir dem in Berlin lebenden Autor Arthur Schenk verdanken, beginnt so: "Cool-Jazz ... das ist am Anfang die Quersumme aus all den Gläsern irgendwann getrunkenen Rotweines und den Bergen von Zigarettenkippen in den Aschenbechern … ".

Und sie endet in einem Rausch der Sinne: "Uuuh yeah, Cool-Jazz ... Der Klangteppich verwandelt sich in ein Fangnetz, fängt Begehren und Raserei ein, unsere Körper zappeln gefangen wie Fische. Mein Mund wandert vom Hals ab an dir hinunter, streift deine Brustwarzen, die zum Erforschen einladen wie Korallenriffe, streift deinen Bauch, streift hin und her ... und findet am Meeresgrund der Liebeslagune schließlich eine Muschel ... ich halte sie ans Ohr, spüre mit meinen Lippen genüsslich den Linien nach ... und schmecke wieder den süßliche Geschmack der Kokosnuss. Und jetzt auch noch die rauchige Stimme der Sängerin! Ihre Hüften, die sich wie deine zu einem Text wiegen, den man hört, spürt und fühlt; ihre Zunge, die sich dem Mikrofon lockend entgegen schlängelt, ihre Lippen die zärtlich das Schutzgitter streifen! Und meine Zunge, die über deine Brustwarzen die Lautsprecher in dir zum Vibrieren bringt ... verdammt, dass ist zu viel ... Ich komme zu dir und du nimmst mich auf.
Yeah yeah Baby, Cool-Jazz...

Alle Töne verschmelzen zu einem einzigen Ton, zu einem einzigen Klangteppich, einer einzige Bewegung, einer einzigen süße Melodie; zu einem Refrain aus Kokosnüssen, Herzkirschen, Küssen, Lippen, warmer Haut, weichen Brüsten, sich heiß umschließenden Geschlechtsteilen. Die Sängerin streicht verträumt mit ihrer Hand über den verchromten Mikrofonständer, der Gitarrist geht förmlich auf in seinen Griffolgen, der Schlagzeuger bearbeitet virtuos das Drum-Kit, der Saxophonist arbeitet sich die Tonleiter hinauf und hinunter und selbst der Bassist lässt sich nun mitreißen ... sein Spiel klingt jetzt wie ein Stöhnen, dass sich los-gelöst aus der Kehle nach oben arbeitet. Die Lautstärke, ein ohrenbetäubendes Finale ... danach ... letzten Tonkaskaden, die wie bunte Feuerwerkskörper am Himmel zerplatzen ... Tänzer, die aus einem Traum erwachen und sich ansehen, sich erschöpft lächelnd Schweißperlen von der Stirn wischen ... und: Ich küsse dich als Applaus für die Band und ihrem Cool-Jazz ... ".

Eigentlich bedarf es keiner weiteren Erklärung, oder?

Wollen wir uns dennoch ein paar Fakten nähern. Cool Jazz entsteht Ende der 40er aus dem Bebop. Der Hektik des Bebop setzt der Cool Jazz eine entspannte Klangästhetik gegenüber, womit sich die Namensgebung weitestgehend erklärt. Alle weiteren Gerüchte, um eine unterkühlte Spielweise etwa, oder eine distanzierte Schönheitslehre, erweisen sich spätestens beim Hören als nicht haltbar.

Eher das Gegenteil ist der Fall. Cool Jazz zeichnet sich durch eine lineare und transparente Art des Musizierens aus. Vorreiter ist vor allem Arrangeur und Pianist Gil Evans, der in Gerry Mulligan (Saxophon) und John Lewis (Piano) zwei Partner findet, die seinen Visionen mühelos folgen. Ein filigranes Spiel mit Klangfarben und eine annähernd vibrato-freie Tongebung der Bläser sind zwei wesentliche Merkmale ihrer Musik, die sich in der Folge als stilbildend erweisen.

Schnell lässt sich auch Miles Davis vom Cool-Virus infizieren. Er kündigt beim Charlie Parker Quintet seine Mitgliedschaft und wird eine der Gallionsfiguren des im entstehen begriffenen neuen Genres. Sein Miles Davis Capitol Orchestra nimmt schon 1948 eine zentrale Rolle ein. Das ein Jahr später erscheinende Album "Birth Of The Cool" darf als offizielles Geburtsdatum des Cool Jazz begriffen werden.

Eine zweite Schule entwickelt sich um den Pianisten Lennie Tristano, in der sich u.a. Lee Konitz (Saxophon) tummelt. Seinem Harmonieverständnis, das von Arnold Schönbergs Zwölftontechnik beeinflusst ist, können jedoch nur wenige folgen und so etabliert sich Miles Davis auf dem ewigen Thron des Cool Jazz.

Eine gewichtige Rolle spielt, neben dem Übervater des Jazz, das 1952 von John Lewis gegründete Modern Jazz Quartet, das sich ebenfalls zu einem repräsentativen Vertreter des Genres entwickelt. Nicht unerwähnt sollen auch Stan Getz, Chet Baker, Dave Brubeck, Paul Desmond, Dizzie Gillespie und Lee Konitz bleiben.

Die Hochphase des Cool Jazz dauert jedoch nicht sehr lange. Während der 60er verflacht er durch "die kommerzielle Umsetzung, die diese Spielweise u.a. in der Barmusik findet. Ein Prozess, der in der Folge den Hard Bop als radikale Gegenreaktion provoziert", wie das Handbuch der populären Musik (Wicke/Ziegenrücker) berichtet.
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Electric Jazz
Electric Jazz heißt Jazz plus Elektrifizierung des ganzen Landes. Eh. Entschuldigung: Elektrifizierung aller Instrumente natürlich.

Mit Kollektiv hat Electric-Jazz dennoch viel gemein. Elektrisch verstärkte Gitarren, Hammond-Orgeln, Wah-Wah Pedale, Ringmodulatoren, Verzerrer, Rückkopplungen, Gitarren mit zwei Hälsen, elektrisch verstärkte Schlagzeuge, all das fand Anklang und läutete heutige jazzige Hörgewohnheiten ein.
Ja, die elektrische Verstärkung ermöglichte es dem Mahavishnu Orchestra oder Billy Cobham endlich in rockige Lautstärkedimensionen vorzurücken, mit denen wohl alle unsere Eltern zu kämpfen hatten.
 
Electro-Boogie
Anfang der 80er war es Zeit, rappende Vorgänger wie Afrika Bambaata zu elektrifizieren. Genau das erledigte Juan Atkins Cybotron mit ‘Alleys of your Mind' im Jahr 1981.

Siehe da! Wie im Jazz. Sechziger Jahre Soul-Sound von Motown & Co paßte eben nicht mehr so richtig ins Detroit der neuesten Neuzeit. George Clintons P-Funk und Kraftwerk, die Musikanten mit dem Taschenrechner in der Hand, schon eher.
Diese waren wiederum Vorbilder der Jonzun Crew. Ihre größten Hits auf ‘Lost in Space' gingen in die Geschichte der Longplayer ein. Unzählige Male wurde ihr Klassiker gesampelt.
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Free Jazz
"Wir erzeugen Klänge durch den kreativen Gebrauch unterschiedlicher Methoden. Dazu gehören Melodiemotive und Rhythmusfragmente ebenso wie spontane Variationen, um das vorgegebene Material zu erweitern, die Schichtungen von Klang und Stille, und die Klangorganisation als Dialog, sowie der gleichzeitige Gebrauch unterschiedlicher Tonarten und Rhythmen".

So umfassend gelingt dem New Yorker Bassisten William Parker die Beschreibung des Phänomens Free Jazz in den Achtziger Jahren. Ornette Coleman (Saxofon), gemeinsam mit dem Pianisten Cecil Taylor in den Sechzigern ein Pionier des Free Jazz, stößt die musikalische Revolution an. Sein "Let's play the music and not the background" ist der Leitspruch einer ganzen Dekade und eines der wohl bekanntesten Zitate zum Thema. Doch, was ist damit gemeint?
Zu Free Jazz assoziiert man im allgemeinen die Entwicklungen im Amerika der 1960er Jahre. Damals kam es innerhalb der schwarzen Bevölkerung der USA zu einer zunehmenden Politisierung und Radikalisierung, die auf politischer Ebene in der Black Power-Bewegung mündet. Auf musikalischer Ebene findet diese Haltung, gegen rassistische Strukturen und für eine Reformierung der Gesellschaft einzutreten, im Free Jazz seinen Ausdruck. Er kann also als musikalischer Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen im Amerika der späten Fünfziger und Sechziger betrachtet werden und als musikalischer Ausdruck des Protests gegen soziale Ungerechtigkeit. In Titeln wie "Stop! Look! And Sing Songs of Revolution" (Charles Mingus, 1963) oder "Things Have Got To Change" (Archie Shepp, 1971) findet das seinen unmittelbaren Niederschlag.

Albert Ayler, von ihm heißt es heute noch, sein Ghosts-Trio sei eine der musikalisch schockierendsten Formationen der Szene gewesen, formuliert es so: "We want poems that kill, setting fire and death to whitie's ass." Seine radikale Einstellung und seine Rolle in der Entwicklung des Free Jazz wird jedoch kritisch gesehen. Der schwarze Autor Stanley Crouch, der 1977 in Sunny Murrays Band Schlagzeug spielte, bezeichnet Aylers Musik heute als Sackgasse.

Der Begriff Free Jazz, der zu Beginn der Ära auch "The New Thing" genannt wird, geht auf Colemans Aufnahme "Free Jazz" (1961, u. a. mit Don Cherry, Eric Dolphy und Charlie Haden) zurück. Mit dieser Aufnahme gibt er dem Sound einen Namen, der der geistigen Haltung eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins entspricht.

Bis anhin nämlich galt der Jazz weitläufig, und mit ihm viele schwarze Jazzmusiker, als Unterhaltungsmusik. Es ging also nicht um das bewusste Aufnehmen eines von schwarzen ausgeübten kulturellen Guts, Jazz war als Hintergrundmusik fast schon ein Bestandteil weißer Kultur. "In einem fließenden Prozess lösten sich immer mehr afroamerikanische Jazz-Musiker und -musikerinnen von den ihnen zugewiesenen Rollen und dem vorgegebenen Musikverständnis. Sie suchten nach neuen Wegen der Entfaltung und stellten dabei die Traditionen des Jazz grundsätzlich in Frage", stellt Wolfgang Sterneck in seinem Buch "Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft" fest.

Das bequem gewordene Jazzpublikum empfand dieses aufmüpfige Verhalten und seinen musikalischen Ausdruck als Zumutung und auch die Fachpresse lehnte den neuen Stil zunächst vehement ab. In den Siebzigern kommentierte der Saxofonist Sam Rivers diese Haltung: "Jeder Fortschritt in der Musik ging einher mit lautem Buhen und fliegenden Eiern. Die Avantgarde hat schon immer Aufruhr verursacht. Der Akzeptanz geht der Aufruhr voraus".

Obwohl nie zu wirklich breiter Zustimmung gelangt, löst der Free Jazz eine musikalische Revolution aus, die aus der Musikgeschichte nicht weg zu denken ist. Zu den wichtigsten Vertretern gehören, neben den bereits genannten, Carla Bley, Don Cherry, Charlie Haden, Max Roach und Sun Ra. John Coltrane gebührt ein separater Status, den, obwohl er eine bedeutende Rolle für die Herausbildung des Free Jazz einnimmt, einige Autoren erst durch sein bahnbrechendes Album "Ascension" (1965) zu den 'echten' Free Jazzern zählen. Anfang der 60er war er noch mit dem Entwickeln der "Sheets Of Sound" beschäftigt war und in der ersten Hälfte der 60er widmet er sich gemeinsam mit Miles Davis der Entwicklung der modalen Spielweise, die wiederum auf den Free Jazz erheblichen Einfluss ausübt. Denn insbesondere der Auseinandersetzung Coltranes mit arabischen und indischen Skalen und Instrumenten ist es zu verdanken, dass der Free Jazz seinen Blick globalisiert.

Recht schnell schwappte in den 60ern die Free Jazz-Welle nach Europa. Zu den wichtigen hiesigen Vertretern zählen Willem Breuker, Peter Brötzmann, Gunter Hampel, Joachim Kühn, Peter Kowald, Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach, Irène Schweizer, Günter "Baby" Sommer und Tomasz Stanko.

In den 70ern gebührt dem Saxofonisten Pharoah Sanders, der 1969 mit "Karma" international auf sich aufmerksam macht, eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des Free Jazz, dessen Hochzeit sich jedoch unaufhaltsam dem Ende neigt. Dennoch, neben ihm und dem Art Ensemble Of Chicago, Anthony Braxton, Archie Shepp und Sonny Sharrock, sorgen unzählige andere dafür, dass der Free Jazz bis heute lebt.

Übrigens: Free Jazz heißt keineswegs, auch wenn man dem am Stammtisch widersprechen mag, ein völlig freies und regelloses Musizieren. Vielmehr können die Regeln frei gewählt und neu geschaffen werden, dennoch gilt: Kein Free Jazz ohne Regeln.
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Fusion
Fusion heißt Verbindung. Nein. Nicht Vivaldi und Mozart. Schon eher das unter-einen-Hut-bringen von Jazz und Rock. Disko-Beats und Sitarklängen. Soulstimme und Metal-Gitarre.

Wer als erster Fusion kreierte, darüber streiten Miles Davis und seine Mitmusiker Wayne Shorter und Joe Zawinul. Sorry, sie stritten. Klar ist, daß Miles Doppel-LP "Bitches Brew" (CBS-Sony) dem Rock-Jazz 1970 zum Durchbruch verhalf.
Kurz darauf trennen sich Shorter und Zawinul von Davis und gründen ihre eigene legendäre Formation Weather Report.
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Gospel
"Precious Lord, take my hand.
Lead me on, let me stand.
I'm tired, I'm weak, I'm lone.
Through the storm, through the night
Lead me on to the light.
Take my hand, precious Lord, lead me home."
(Thomas A. Dorsey: "Precious Lord, Take My Hand" )

Songs wie "Amazing Grace", "When The Saints Go Marching In" oder "Oh Happy Day", mit dem es Edwin Hawkins Ende der 60er Jahre zu seinem ersten Grammy bringt, gehören in der christlichen Welt beinahe schon zum Allgemeingut. Die Wurzeln der Gospel-Musik reichen allerdings bis in die Zeit der Sklavenschiffe zurück.

Im Gepäck der europäischen Eroberer erreichen auch ihre aus den afrikanischen Kolonien verschleppten Leibeigenen die "Neue Welt". Aus Furcht vor Aufruhr werden häufig Mitglieder verschiedener Stämme zusammen gepfercht, die sich untereinander kaum verständigen können. In traurigen, sehnsuchtsvollen, aber auch aufmunternden Melodien finden diese Menschen ein Kommunikationsinstrument.
Gesang und Tanz helfen bei der Wahrung der kulturellen Identität. Schon in der alten Heimat wurden Stammesgeschichte und Traditionen oft verpackt in Gesänge über die Generationen weiter gegeben. Gleichförmige, eintönige Bewegungsabläufe gehen mit Musik besser von der Hand. Aus alltäglichen Situationen wie dem Ruf zum Essen, zur Arbeit oder dem Ausrufen von Waren auf dem Markt entwickeln sich Work Songs, Calls und Cries. Häufig gibt ein Vorsänger Rhythmus und Melodie vor, die von anderen aufgenommen werden. Das hieraus entstandene Ruf- und Antwort-Prinzip findet sich später in verschiedenen Situationen wieder.

Neben den weltlichen Work-Songs spiegelt sich die zunehmende Christianisierung der Sklaven in Nordamerika, zu der die Erweckungsbewegung der Methodisten und Baptisten ab Ende des 18. Jahrhunderts entscheidenden Beitrag leistet, im Aufkommen von Negro Spirituals. Afrikanische Religiosität trifft auf christliche Lehren: Der neue Glaube kommt bei einer Bevölkerungsgruppe, die sich mit dem biblischen Volk Israel in ägyptischer Knechtschaft bestens identifizieren kann, gut an, zudem die Aussicht auf ein besseres, ewiges Leben Hoffnung verheißt.

Den getragenen Hymnen, Chorälen und Psalmen versehen die Sklaven mit Einflüssen aus dem Blues und verleihen ihnen so ganz neue Ideen und unbändige Dynamik. Das Frage- und Antwort-Schema wird auch bei religiösen Treffen beibehalten. Der Prediger gibt nun den Ton an, interagiert jedoch mit der Gemeinde: Jeder Einzelne ist in das Gottesdienstgeschehen eingebunden. Dieses Wechselspiel entwickelt sich zu spirituellen Liedern.

Musik, Tanz und Gesang finden ihren festen Platz im Gottesdienst. Trommeln allerdings werden zunächst von Sklavenhaltern weitgehend untersagt. Zu tief sitzt die Furcht, auf diese Weise können versteckte Botschaften übermittelt werden. Klatschen und Stampfen übernehmen die Funktion der Rhythmusinstrumente. Der Verbreitung von als harmlose Lieder getarnten Fluchtanweisungen oder anderer politischer Inhalte (Coded Songs) gebietet das Verbot keinen Einhalt.

Im Gegenteil: Oft bieten gerade die Messen den Rahmen, in dem sich Schwarze am freiesten artikulieren können. Politische Gedanken und Diskussionen bereichern die Gospelmusik. Die Geschichte zeigt: Häufig bilden Kirchengemeinden die Keimzellen für Bürgerrechts- und Friedensbewegungen.

Nach dem Bürgerkrieg und der offiziellen Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865 entstehen erste Sammlungen von Slave-Songs. Schwarze besuchen erstmals Bildungseinrichtungen. Als eine der ersten schwarzen Universitäten bedient sich die Fisk University in Nashville, Tennessee-Spirituals singender Musikgruppen zur Entlastung des knappen Etats. Bereits 1871 touren die Fisk Jubilee Singers durch die USA. Erste Aufnahmen von Gospelgruppen wie dem Unique Quartette, den Kentucky Jubilee Singers oder dem Dinwiddie Colored Quartet entstehen um die Jahrhundertwende.

In den 20er und 30er Jahren erfreuen sich die ersten Solisten und der Quartett-Stil großer Beliebtheit. Neben den Gemeinde-Gesängen zelebrieren diese Quartette die älteste Form afroamerikanischer religiöser Musik. "Guitar Evangelists" verbinden traditionellen Country-Blues mit spirituellen Texten. Bereits um 1920 bezeichnen sich die Mitglieder des Spirit Of Memphis Quartets als "Gospel Singers". Erst mit Thomas A. Dorseys "Precious Lord" von 1932 findet der Begriff "Gospel Song" jedoch weithin Verbreitung.

Ende der 30er entwickelt sich die Quartett-Szene weg vom Country-Stil hin zum weit formaleren Jubilee. In diese Phase fällt die Gründung des Golden Gate Quartets, der Five Blind Boys of Alabama und zahlreicher weiterer Gruppen, die später zu Ruhm und Ehren kommen sollen. Das Jubilee, das dem Leadsänger nur wenige Improvisations- und Entfaltungs-Möglichkeiten gestattet, wird allerdings schon bald wieder abgelöst, geht jedoch nicht verloren: Noch nach 2000 pflegen beispielsweite Take 6 einen Stil, der als Neo-Jubilee durchgehen kann.

Die Zeit zwischen 1940 und 1960 gilt weithin als das goldene Zeitalter des Gospel. Der Szene erschließt sich ein weit größerer Markt, als ihn Blues oder Jazz für sich beanspruchen. Positiv-optimistische Gesangsstücke drücken Lob, Dank und Hoffnung aus. Wie einst der Pastor mit seiner Gemeinde, kommunizieren Solisten mit dem Chor, Sänger mit der Band, und verbreiten so ihre Botschaft.

Im Gegensatz zum Vorläufer, dem Spiritual, entwickeln sich Gospelstücke weniger aus der Gruppe heraus: Sie wurden meist eigens komponiert. Auch die vormals besungene Bilderwelt des Alten Testamentes weicht mehr und mehr Darstellungen des Lebens- und Leidenswegs Jesu Christi.

Harmonien und Melodik entstammen der weltlichen Variante, dem Blues - wenn auch die Wirkung des Jazz unüberhörbar ist: Die Nummern entwickeln sich rhythmischer, intensiver und vitaler. Bis um 1950 singen die Quartette noch weitgehend a cappella. Dann beginnen sich zunächst Schlagzeug und Gitarre, dann Orgel, Piano und Bass als Begleitinstrumente durchzusetzen.

Der Leadgesang wird zunehmend expressiver, emotionaler und spielt mit den Reaktionen des Publikums. Auch der Backgroundgesang verändert und verfeinert sich: Ab Mitte der 50er dominieren Falsett-Stimmen, wie bei den Mighty Clouds Of Joy, den Four Knights oder den Gospelaires zu hören ist. Besonders in Philadelphia florieren Frauengruppen wie die Davis Sisters, die Ward Singers oder die Angelic Gospel Singers, die 1949 mit "Touch Me, Lord Jesus" einen Hit landen.

Mahalia Jackson beginnt ihre beispiellose Karriere in einer Baptistenkirche in New Orleans. 1928 zieht es sie jedoch nach Chicago, wo sie fortan mit den Johnson Brothers, einem professionellen Gospelensemble, auftritt. Ab 1937 ist sie als Solistin unterwegs, und das derart erfolgreich, dass ihr ihre Popularität den Vorwurf einträgt, das Genre auszuverkaufen. Mahalia Jackson tritt im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung sowie bei der Beisetzung Dr. Martin Luther Kings auf und stirbt 1972 nach mehreren Infarkten an Herzversagen.

Gospel und Rhythm & Blues prägen und beeinflussen sich gegenseitig. "Vieles im Blues kommt aus der Kirche", erkennt T. Bone Walker. Elvis interpretiert etliche Gospel-Nummern, darunter "Amazing Grace". Zahlreiche R'n'B- und Soul-Stars beginnen ihre Karrieren in den Reihen von Gospel-Ensembles. So singt Sam Cooke vor seinem Crossover-Erfolg in der Welt des Pop bei den Soul Stirres. Lou Rawls macht seine ersten Schritte bei den Chosen Gospel Singers, Al Green mischt bereits mit neun Jahren bei den Green Brothers, der Gospelkapelle seines Vaters, mit.

Edwin Hawkins begleitet als Siebenjähriger den familieneigenen Gospelchor auf dem Klavier. Später gründet er den Northern California State Youth Choir, aus dessen handverlesenen Mitgliedern die Hawkins Singers hervorgehen sollen. Ende der 60er verzeichnet Edwin Hawkins mit "Oh Happy Day" einen Erfolg, der ihm den ersten seiner Grammys und Millionen verkaufter Schallplatten beschert.

1951 tritt der Bluesgitarrist Pops Staples zusammen mit seinen Töchtern Cleotha und Mavis sowie Sohn Pervis vor einer Gemeinde in Chicago auf. Die Staples Singers sind bis in die 80er Jahre hinein aktiv. Mit "We'll Never Turn Back" legt Mavis Staples noch 2007 ein Album vor, das beweist, dass ihre Stimme nichts an Kraft und Zauber verloren hat.

Neben dem Black Gospel, der auf Negro Spirituals zurückgeht, entwickeln sich einige weitere Strömungen, die auf unterschiedlichsten kulturellen und musikalischen Hintergründen basieren. So entsteht Gospel-Musik, die auf Country und Dixieland baut. In Afrika, wohin europäische Missionare Kirchenlieder und Hymnen einschleppen, wird aus diesen der in afrikanischen Sprachen und Stilen gesungene African Gospel. Spirituals wie "Go Tell It On The Mountain" finden sich in der Übersetzung "Komm, Sag Es Allen Weiter" auch in deutschen Kirchengesangbüchern. Mehr und mehr verbreiten sich Gospelchöre in den Kirchen Europas.

Kino-Produktionen wie "Blues Brothers" oder "Sister Act" tragen auch nicht eben dazu bei, das Genre in Vergessenheit geraten zu lassen. Rock, Pop und Hip Hop borgen sich Gospel-Elemente oder nehmen - wie beispielsweise die Housemartins mit "Caravan Of Love" - gleich komplett neue Versionen von Gospel-Klassikern auf. Schließen wir mit Dr. Alban, der letztlich auch nichts anderes als einen Gospel-Song veröffentlicht, wenn er fordert: "Sing Hallelujah!"
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Jazz
"Der Jazz ist oder hat ein Problem, weil er hauptsächlich improvisierte Musik ist" meint der Neue Musik-Komponist Pierre Boulez. Lassen wir dieses Statement von Harald Härter erwidern. Er muss es wissen, schließlich spielt der schweizer Saitenderwisch in der Champions League der Jazz-Jetztzeit.

"Klassisch denkende Menschen meinen manchmal, man müsse ganz viele Überlegungen anstellen, um auf etwas Schlaues und Wertvolles zu stoßen. Jazzmusiker glauben das Gegenteil! Sie glauben, wenn du genügend Vorarbeit leistest, nämlich sehr viel übst, du fähig bist, genauso wertvolle Musik im und aus dem Moment zu kreieren. Ich würde ihm sagen: 'Herr Boulez, haben sie schon einmal mit ihrer Frau etwas ganz Spontanes, wahnsinnig Interessantes und Unglaubliches erlebt. Das ist ja auch Jazz, denn sie haben sich nicht zehn Stunden darauf vorbereitet, sie haben es einfach passieren lassen. Finden sie das wirklich wertlos?' Und dann kann er vergleichen. Ist Jazz wertloser oder wertvoller als Auftragskompositionen? Für mich ist alles gleich wertvoll. Spontan oder vorbereitet. Nur gut muss es sein" (Harald Härter).
Lassen wir das mal so stehen und wenden uns der Geburtsstunde des Jazz zu. "Am 13. Mai 1896 um 19.05 Uhr Ortszeit erfand Buddy Bolden in New Orleans den Jazz", behauptet das Fachmagazin Jazzthing in Ausgabe Nummer 45.

So einfach ist es natürlich nicht! Genauso wenig, wie ernst gemeint. Aber einen ersten Hinweis auf die Herkunft und Chronologie des Jazz liefert das Jazzthing durchaus.

Angefangen hat alles auf den Sklavenplantagen. Die Gesänge der Baumwollknechte, die nicht nur in der Entwicklung des Blues, sondern auch für etliche Arten moderner Popularmusik ihre Stimmbänder im Spiel haben, vermischen sich im kulturellen Exil auch mit europäischer Blasmusik!

Das Ergebnis dieser Liaison sind die Marching Bands (Brass Bands), die das wichtigste Stilmittel des Jazz, die Improvisation, in die strenge europäische Form einführen. Gleichzeitig entwickelt sich in der Melodie ein synkopisches Spiel. Dabei werden die Akzente von den schweren Taktzeiten auf die unbetonten Taktteile, die Offbeats, verschoben.

Um die Jahrhundertwende erlebt der Jazz in New Orleans eine erste Blütezeit. Maßgeblich daran beteiligt ist die 1897 dort eingeführte Legalisierung der Prostitution, die den Jazzmusikern vielfältige Arbeitsmöglichkeiten eröffnet.

Der Begriff 'Jazz' wird erstmals 1917, ausgerechnet von einer weißen Band, im musikalischen Kontext benutzt. Die "Original Dixieland Jass Band" nimmt seinerzeit in New York die erste Platte unter diesem Namen auf. Etymologisch wird Jazz häufig auf das unter Schwarzen gebräuchliche Slangwort "Jazzy" (erregend, bunt) zurückgeführt. Aber auch andere Theorien kursieren in der Fachwelt.

In den 20er Jahren entwickelt sich Chicago zur Metropole des Jazz. Ab jetzt spielen die Weißen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung. Sie führen die Soloimprovisation ein und helfen dem Jazz dadurch, seine bisherige Funktion als Tanzmusik abzulegen.

Dieser Entwicklung stellt sich in den 30er Jahren zunächst der Big-Band-Swing entgegen, der als durchkomponierte Musik die eben erworbenen Freiheiten wieder einschränkt. In den 40ern knüpft der Bebop an die improvisatorische Entwicklung aus Chicago an und erneuert den Jazz auch auf Grundlage eines erstarkenden politischen Bewusstseins der Schwarzen. Die 50er sind von unterschiedlichen stilistischen Ausprägungen gekennzeichnet, von denen Cool Jazz und Hard Bop sich am ehesten durchsetzten.

In den 60er platzt die Bombe dann endgültig. Im Jahrzehnt des Free Jazz werden alle bis dahin geltenden Regeln gebrochen, alle Grenzen gesprengt. Nach dieser Zeit der größtmöglichen Freiheit, die kommerziell natürlich völlig gegen die Wand fährt, entwickelt sich in der folgenden Dekade der Jazzrock. Die Fusion des Jazz mit der Rockmusik, lässt ihn ein weiteres Mal eine Blütezeit mit großer Breitenwirkung erleben. Protagonisten hierbei sind etwa das Mahavishnu Orchestra, Frank Zappa und Miles Davis.

Diese Entwicklung der genreübergreifenden Fusionen hält bis heute an. Während sich der Jazz bereits in den 70ern um die Implementierung exotischer Melodien und Instrumente bemüht, bleibt das Genre World-Jazz bis heute nicht genügend ausgereizt. Zahlreiche Kollaborationen schöpfen aus den vielfältigen und schier unerschöpflichen Möglichkeiten der interkulturellen und globalen Fusion ihre Innovationskraft. Dhafer Youssef, Rabih Abou-Khalil und Joe Zawinul seien deshalb nur exemplarisch als Vertreter des World-Jazz genannt.

Gegen Ende der 80er setzt sich Acid-Jazz in den Köpfen, Herzen und Popos der Jazzsympathisanten fest. Es sind vor allem britische DJs, die ältere Soul- und Funkaufnahmen aus den 60ern und 70ern für den Dancefloor aufbereiten. Die Jazzpolizei lehnt diese Entwicklung jedoch ab und verweist auf den allzu gefälligen Geist des Acid-Jazz, der discoide Tanzbarkeit ins Zentrum des Interesses stellt und eingefleischten Jazzfans als zu smooth gilt.

Apropos smooth: Neben der Entwicklung des Nu Jazz, der die späten 90er und 2000er mitbestimmt, nimmt auch der Smooth Jazz eine bestimmende Rolle im Zirkus der improvisierten Musik ein. Interpretinnen wie Diana Krall, Norah Jones, Silje Nergaard, Rebekka Bakken, Viktoria Tolstoy und viele andere bestimmen das Geschehen Anfang des Jahrtausends und auf die Frage "Hörst Du Jazz?" hört man immer öfter die Antwort "Norah Jones".

Echten Jazzerinnen und Jazzern ist dieser Adult Contemporary-Ansatz natürlich zu billig. Aber echten Jazzerinnen und Jazzern kann man eh nichts recht machen. Deshalb noch einige provokante Zitate zum Thema: "Ich mag keinen Jazz, weil er mich an Leute erinnert, die in einem Kreis sitzen und reden" (John Cage). "Jede Musik, über die man erst groß nachdenken muss, ist akademischer Müll" (Steve Reich).

Doch, Hilfe naht! "Es ist eine der schönen Begleiterscheinungen am Älterwerden, dass du plötzlich die Geduld für Gedichte oder Jazz aufbringst", weissagt Roisin Murphy im Gespräch mit Laut.de. Hilfe naht auch von medizinischer Seite. "Jazz beansprucht das Gehirn mehr also trockener Techno", hat Arthur Hörwarth, ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie am Uni-Klinikum Hoppegarten, als Ergebnis einer ärztlichen Studie 2002 herausgefunden.

Lassen wir zum Abschluss John Philip Sousa, den 1932 verstorbenen amerikanischen Marschmusikkomponisten und Sousaphon-Erfinder, zu Wort kommen, der ein salomonisches Urteil spricht: "Der Jazz wird so lange existieren, wie die Leute ihn mit den Füßen und nicht mit dem Verstand hören."

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Mariachi
Mariachi-Musik ist die wohl beliebteste und populärste Musik Mexikos. Die Kapellen, die diese Musik spielen, werden ebenfalls Mariachi genannt, ihre Lieder Mariacheros. Als typisches Ensemble präsentiert sich Luz De Luna. Die Mariachis um den sympathischen Leiter Ruben Moreno, arbeiten gerne mit den Tex-Mex-Rockern von Calexico zusammen. Und auch in Shakiras Top-Ten-Pop findet sich der eine oder andere Verweis auf die Musik Mexikos.

Mariachi-Bands treten immer in einheitlichem Gewande auf, das sie sich erst um 1930 von den reitenden Rancheros (Charros) abschauten. Die Charro genannte Tracht besteht aus gold- oder silberbetressten schwarzen Anzügen (enge Hose und kurzes Jäckchen), spitzen Cowboy-Stiefeln und einem breitkrempigen Sombrero. Eben so, wie wir Europäer uns eine typisch mexikanische Folklore-Band vorstellen.
Diese von uns bevorzugte aber reduzierte Interpretation stimmt natürlich genauso wenig, wie der Schuhplattler als Synonym für deutschen Volkstanz gelten kann. Mariachis sind typisch für Zentralmexiko. Ihre Ursprünge sind im mexikanischen Staat Jalisco zu finden. Im 19. Jahrhundert entstanden dort die ersten volkstümlichen Ensembles mit der ursprünglichen Besetzung 2 Violinen, Harfe und fünfseitige Gitarre (Mariachera).

Heutzutage ist die Instrumentierung ein wenig variabler. Typisch für moderne Orchester sind 2-6 Violinen, 2-3 Trompeten, Gitarre, Bassgitarre, Mariachera oder Mandoline und Gesang. Die Trompeten verdrängten im Laufe des 20. Jahrhunderts die Harfe, auch wenn sich (vor allem in Jalisco) gelegentlich noch Orchester in der Originalbesetzung finden lassen.

Viele Kompositionen stammen aus der Zeit der mexikanischen Revolution (1910-1917) und sind bis heute fester Bestandteil der mexikanischen Folklore. Mariachi-Musik breitete sich von Jalisco über ganz Mexiko und Lateinamerika aus. Sammelplätze der Mariachi sind heute die Plaza Garibaldi in Mexiko-City und die Plazuela de los Mariachi in Guadalajara. Dort kann man die Gruppen für einen ganzen Abend, für eine Stunde oder nur für ein Lieblingslied mieten.

Der Begriff "Mariachi" stammt vermutlich vom französischen "mariage" (Hochzeit) ab und verweist auf die gesellschaftlichen Anlässe, die musikalisch umrahmt wurden und werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht ausschließlich um Hochzeiten. Mariacheros erklingen eigentlich zu allen Anlässen wie Taufen, Geburtstagen, Messen und eben Hochzeiten.

Die wichtigsten Inhaltsstoffe der Mariacheros sind zweifellos die großen, menschlichen Gefühle. Die Lieder erzählen mal melancholisch von unerfüllter Liebe und sehnsuchtsvoller Leidenschaft, mal voller Stolz von der Schönheit Mexikos, würdevollen Frauen und unbeugsamen Machos. In Mariachi-Musik spiegelt das Herz und die Seele Mexikos wieder, heißt es deswegen nicht zu unrecht.

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Música Popular Brasileira
Ob Samba, Salsa oder Bossa Nova - in Brasilien gehört Musik ganz selbstverständlich zum Leben. Sie spiegelt das Lebensgefühl und das nationale Selbstverständnis der Bevölkerung wieder. Als Música Popular Brasileira bezeichnet man die Musik, unter der die vielfältigen Spielarten populärer brasilianischer Musik subsummiert werden. Die Verbindung von traditioneller und moderner westlicher Popmusik ist dabei nur eine Facette des farbenfrohen Spektrums.

Das Verschmelzen verschiedener Traditionen sorgt auf der ganzen Welt seit eh und je für musikalische Evolutionen. In Brasilien treibt diese Entwicklung vor allem die Abschaffung der Sklaverei 1888 voran. In deren Folge setzt um die Jahrhundertwende ein verstärkter Zuzug der schwarzen ländlichen Bevölkerung in die Städte ein, der eine weitreichende Veränderung der kulturellen Gebräuche mit sich bringt.
Das Aufeinandertreffen von schwarzen und weißen Musikern liefert das Fundament für die Música Popular Brasileira. Vor allem die um die Jahrhundertwende rasant zunehmenden Karnevalsveranstaltungen fördern den Kult um die im Entstehen begriffene neue Popularmusik. Der Samba entspringt als erstes dem Schmelztiegel der Stile und gibt der Música Popular Brasileira ein berauschendes und knallbuntes Gesicht. "Pelo Telefone" aus dem Jahre 1917 gilt in diesem Sinne als der erste Samba der MPB-Geschichte.

Samba entwickelt sich zur nationalen Volks- und Tanzmusik und bestimmt lange Zeit das Geschehen. Erst in den 60er Jahren erfährt er durch den Bossa Nova ("The Girl From Ipanema" ) ernst zu nehmende Konkurrenz. In diesem zeitlichen Zusammenhang ist auch die Tropicalismo-Bewegung von Bedeutung. Vom Tropicalismo-Fieber wird seinerzeit nicht nur die Musik erfasst, sondern der Kulturbetrieb als Ganzes. Malerei und bildende Kunst sind ebenso betroffen wie Theater, Film und Literatur. "Tropicalismo war ein allgemeines künstlerisches Bewusstsein, das sich umfassend in verschiedensten Kunstgattungen manifestiert" schreibt dazu Prof. Dr. Regine Allgäuer-Kaufmann.

Bis heute verdankt die Música Popular Brasileira ihren Reichtum der brodelnden Synthese europäischer, afrikanischer und indianischer Traditionen. Die vielfältigen Einflüsse aus allen Landesteilen Brasiliens sorgen für fortlaufenden Folkore-Nachschub. Daneben sorgt der Einbezug westlicher Popmusik-Spielarten - namentlich u.a. Funk, Soul, Rock, Country, Heavy, Hip Hop, Rap und Reggae - für genügend Spiel- und Experimentierraum. Die brasilianische Musiksoße bleibt mit Interpreten wie Bebel Gilberto, Sergio Mendes, Seu Jorge, Juanes, Aline De Lima, Caetano Veloso, Chico César, oder Céline Rudolph und Bê also weiterhin heiß am Kochen.
 
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Swing
Durch Alben wie "Swing When You're Winning" (Robbie Williams), "Twentysomething" (Jamie Cullum) oder "When The Angels Swing" (No Angels) erfreut sich der gute alte Swing einer neuen Beliebtheit, die ihn schnurstracks in die Popcharts hievt. Das ist bemerkenswert, handelt es sich im Kern doch um unmissverständliche Jazz-Kost. Aber 'Die Jugend von Heute' hat ja glücklicherweise vor nichts mehr Respekt, und so vereinnahmt sie sogar altehrwürdige Jazzstilistiken für ihre 'niederen' Zwecke des Party-Machens und Abtanzens.

So ganz falsch liegt sie damit auch nicht. Swing war in seiner Blütezeit, den 30er und 40er Jahren, mit allerlei wilden Tanzmoden verbunden. Fast wöchentlich entstanden neue Tänze, die Jitter Bug (Zitternder Käfer) oder Lindy Hop hießen und das Lebensgefühl einer ganzen Generation wiederspiegelten.
Swing entwickelt sich in der zweiten Hälfte der 20er Jahre vor allem in den schwarzen Jazz-Bands von Fletcher Henderson und Duke Ellington. Zum Massenphänomen wird der groovige Sound Mitte der 30er durch die Orchester von Benny Goodman und Count Basie.

Historisch hängt seine Entwicklung mit der Erweiterung kleinerer Jazzensembles zu größeren Orchestern, sogenannten Big Bands zusammen. Zu der Standard-Rhythmus-Gruppe aus Drums, Bass und Piano gesellen sich in einer Big Band ein Unmenge an Bläsern, deren Zusammenspiel gut aufeinander abgestimmt sein will. Das jazztypische Verhalten des spontanen (improvisierten) Aufeinander-Reagierens, kann in einem großen Orchester nicht aufrecht erhalten werden, ohne im Chaos zu enden. Die Lösung ist einfach. An die Stelle der Improvisation tritt das Arrangement.

Hinter jeder erfolgreichen Swingband steht deshalb ein profilierter Arrangeur, der die Kunst des Töne-Setzens nicht nur beherrscht, sondern um innovative Aspekte erweitert. Auf harmonischer und melodischer Ebene macht sich das in immer komplexeren Arrangements bemerkbar. Rhythmisch kristallisiert sich im Swing ein deutlich erkennbarer, triolischer Groove heraus, der durch die Betonung der Off-Beats seine Charakteristik erhält. Einige Musikwissenschaftler, darunter Jazzpapst Joachim Ernst Berendt, erkennen im Swing-Rhythmus gar das Resultat des Konflikts aus europäischem und afrikanischem Zeitempfinden, die im Swing eine überlagerte Koexistenz eingehen.

Beflügelt durch den kommerziellen Erfolg machen zunehmend auch weiße Orchester Kasse mit dem neuen Hype. Der Posaunist und Arrangeur Glenn Miller ist das wohl berühmteste Denkmal des weißen Swing. Das Ende der Swing-Ära leitet der Eintritt Amerikas in den 2. Weltkrieg ein. Kurioserweise machen es die sich häufenden Einberufungen unmöglich, den Personalbestand einer Big Band zu sichern. Nach dem 2. Weltkrieg bleibt Swing kommerziell zwar erfolgreich, in der Entwicklung des Jazz wird er jedoch durch den aufkeimenden Bebop abgelöst. Seit dieser Zeit ist Swingmusik aus der musikalischen Gesamtlandschaft nicht mehr wegzudenken. Ohne je ernsthaft zu Grabe getragen worden zu sein, erfreut er sich dank einer Genregrenzen-resistenten Jugend einer neuen Beliebtheit. Und das ist auch gut so!
 
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Taarab
Taarab bezeichnet die zeitgenössische und äußerst populäre Volks- und Tanzmusik Zanzibars. Die Sprachwurzel geht auf "tariba" zurück, was so viel bedeutet wie "in Bewegung sein, agieren". Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Zanzibar, der Märcheninsel vor der ostafrikanischen Küste, über Mozambique bis zum arabischen Golf.

Taarab verarbeitet arabische, asiatische, indische, afrikanische und westliche Einflüsse zu einem weltmusikalischen Konglomerat, das sich äußerst farbenfroh und weltoffen präsentiert. Angereichert und inspiriert von traditionellen Rhythmen und Melodien spielen Taarab-Orchester vor allem für gesellschaftliche Anlässe wie Hochzeiten auf.
Der Klang eines klassischen Taarab-Orchesters setzt sich zusammen aus allerlei afrikanischen und indischen Trommeln (allen voran Tabla und Dumbak), Rika (Tamburin), Oud (Laute), Nai (Flöte), Ganun (Zither), Taishokoto (ein Banjo-artiges Instrument aus Japan), Akkordeon oder Orgel, Gitarre, Bass, einer Unmenge an Streichern und einem gemischten Chor. Letzterer bereichert den Gesamtklang "in Islamic flavour, but cooler and less wailing than the Muslim Singers" (wailing=jammern).

Die Ursprünge des Taarab gehen zurück ins Kenia des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. In den 30er Jahren formieren sich die ersten Taarab-Orchester in Mombasa. Auf die Nachbarstaaten und die Insel Zanzibar greift das Taarab-Fieber ab den 60ern über. Seit damals ist im gesamten ostafrikanischen Raum der Siegeszug der multiethnischen Musik nicht mehr aufzuhalten.

 

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