Genre Guide "Alternativ"

bei Dance gibt es wieder reichlich an verschiedenen Genres

Acid
Acid ist vereinfacht gesagt House-Musik reduziert auf Rhythmus und ein paar Klangspielereien. Langsam baut sich ein Stück auf, unweigerlich steigert sich die Intensität bis zum Break.

Acidtöne basieren im Gegensatz zu House auf einem speziellen Rhythmus-und Bass Gerät namens Roland TB 303. Es ist DIE Acid produzierende Maschine. Obwohl sie eigentlich für Gitarristen erfunden wurde, fand sie bei Gitarreros kaum Anklang. Echo und Back-Spins auf die Loops, 130-150 Bpm aus dem TB 303 darunter: Und Acid ist fertig. (Aciiiiiiid Aciiiiiiiid ist einfach zu merken, eine ideale erste Hymne.) El Esde erwache, der Smiley lache.
Zur Zeit am angesagtesten ist der Münchener DJ Hell Totmacher (Disco oder das Space Teddy Label, das die Züricher Love Parade organisiert. Vote Fusion: Acid-House, Acid-Trance, Acid Jazz, Acidcore und...
 
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Britcore
Die britische Hip Hop-Szene ist ein schwer zu fassendes Phänomen: Neue Sub-Genres schießen wie Pilze aus dem Boden, schwappen in ihrer Blütezeit über den Kanal, verpassen dem geneigten Publikum in Europa und jenseits des großen Teiches wahlweise Inspiration, einen amtlichen Tritt in den Hintern oder beides, und gehen dann oft weitgehend spurlos in der nächsten Strömung auf. Um den knochenbrechenden Wahnsinn Britcore dingfest zu machen, bedarf es einer Zeitreise zum Beginn der 90er Jahre. Open up wicked brrraindoors!

Oh, einen kleinen Moment noch: Vielleicht bewegen wir uns noch ein wenig weiter zurück. Im Jahr 1986 nämlich legt Simon Harris den Grundstein für das Label, das später die Marschrichtung vorgeben soll. Eigentlich handelt es sich eher um ein Steinchen: Der ursprüngliche Plan sieht vor, auf Music of Life Compilations mit US-amerikanischem Hip Hop zu veröffentlichen. Die Not in Gestalt von Material- und Geldmangel erweist sich als Segen: Music of Life konzentriert sich gezwungenermaßen auf einheimische Hip Hop-Acts und manövriert sich damit in eine Vorreiterposition.
Der Trend der Stunde: Hard, harder, hardest hardcores. Das Tempo zieht an, deutlich über 100 Beats per Minute sind Standard. Harte Beats, ausufernde Percussion-Breaks und exzessive Scratch-Orgien dominieren einen kompromisslosen Sound, den inflationär eingestreute Samples und Sprachfetzen noch dichter erscheinen lassen. Ganz im Gegensatz zum anderswo florierenden Gangsta-Rap, der oftmals Bling-Bling, Sex, Drogen und Gewalt glorifiziert, übt die düster-militante britische Spielart harsche Sozialkritik.

Gunshot, The Criminal Minds, Hijack, Killa Instinct ... Allein die Namen lassen vermuten: Hier werden keine Gefangenen gemacht. Derbe und dreckig dreschen Hochgeschwindigkeits-MCs wie Silver Bullet auf die Zwölf, während die Beats reihenweise Genicke zermalmen. Brachialkrach und aggressive Reime grenzen die neue Strömung nach außen gegen den übermächtigen Einfluss aus dem Mutterland des Hip Hop, aber auch innerhalb Großbritanniens gegen weit zahmere Acts ab. Urplötzlich erlebt Hip Hop einen immensen Zulauf von Kids mit Punk- und Hardcore-Background. Gunshots MC Alkaline erklärt rückblickend: "Es war das Headbanging-Element. Zu dem Zeug konntest du springen."

Bei Music of Life erkennt man die Zeichen der Zeit. Zwischen 1987 und 1990 präsentiert die Sampler-Reihe "Hard As Hell" Querschnitte aus dem Label-Programm. Ohne großes Risiko schafft man so auch bis dato unbekannten Künstlern eine Plattform. Neben etlichen anderen verzeichnet Overlord X mit "Let There Be Rock" so sein Aufnahme-Debüt. Neben Hardnoise (aus denen später Son of Noise hervorgehen), Killa Instinct und First Frontal Assault stehen auch Hijack bei Music of Life unter Vertrag, und das noch ehe ein Ice-T auf die Qualitäten der Truppe aufmerksam wird.

1990 erschüttert "Battle Creek Brawl" von Gunshot die Insel. Die Wellen spürt man bis nach Europa. Noch Jahre später bekommen die Herren der französischen Crew NTM bei bloßer Erwähnung der Nummer glänzende Augen. Auch in der Schweiz, besonders aber im Norden Deutschlands fällt britischer Hardcore-Hip Hop auf fruchtbaren Boden. Britischer Hardcore-Hip Hop: eine Bezeichnung, so sperrig wie der beschriebene Sound. Abhilfe schafft MZEE-Chefredakteur Ralf Kotthoff: In einer Ausgabe seines Fanzines stellt er die führenden Figuren der Szene vor und versieht das Ganze mit dem markigen Etikett "Britcore". Zumindest im deutschen Sprachgebrauch hat das Kind einen Namen.

Wie gesagt: Deutschlands Norden steht parat. Britcore erfreut sich hier nahezu größerer Beliebtheit als in seinem Ursprungsland. Die Zeit ist reif für Formationen wie Readykill, Mental Disorda und die Crew um DJ Stylewarz, No Remorze. Letztere zeichnet sich durch besondere Scharfzüngigkeit aus. In ihren Lyrics schrecken No Remorze nicht davor zurück, unpopuläre heiße Eisen anzufassen: Mit Brachialgewalt wird Stellung bezogen, Sexismus und Kindesmissbrauch angeprangert.

Gunshot erleben ihren Zenit 1993. Mit "Mind Of A Razor" landen sie einen hämmernden Clubhit. Sie kooperieren mit Napalm Deaths Bassisten Shane Embury. Im gleichen Jahr legen sie nach etlichen Singles den ersten Longplayer "Patriot Games" vor. An einem zweiten Album wird gefeilt, die Realisierung scheitert jedoch. Der Nachfolger "Twilights Last Gleaming" erscheint erst 1997.

Zu diesem Zeitpunkt ist das kurzlebige Experiment Britcore jedoch bereits weitestgehend Geschichte. Die Schwerpunkte von Fans wie Künstlern verlagern sich. Labels sterben. Jungle kommt auf, das harte britische Hip Hop-Lager verliert Klientel an die Drum'n'Bass-Gemeinde. Die Spuren der meisten Britcore-Combos verlieren sich in den Nebeln des Vergessens. Unverhofft auf den Plattenteller geworfen, verfehlt "Mind Of A Razor" allerdings auch mehr als zehn Jahre nach Erscheinen seine Wirkung nicht. Die Reaktionen reichen von völliger Verständnislosigkeit bis zu heller Begeisterung: Spurlos geht das Spiel mit dem Krach niemals über die Bühne.
 
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Chopped & Screwed
Langsam, träge und zähflüssig tropft der Sound aus der Box. Die Schlieren, die er hinterlässt, führen vom Gehörgang ohne Umweg übers Gehirn direkt ins vegetative Nervensystem. Willkommen im dreckigen Süden. Willkommen in Houston.

Für die Remix-Technik, die dem Hip Hop der amerikanischen Südstaaten ihren Stempel aufdrückt, kursieren zahlreiche Bezeichnungen. Egal, ob man von Chopped & Screwed (oder Screwed & Chopped), Screw, Slowed, Dragged & Chopped, Houston Music oder SLAB (kurz für "slow, loud and banging" ) sprechen möchte, gemeint ist das Gleiche: Ein Track - in aller Regel wird es sich dabei um eine Dirty South-Nummer handeln - wird bis an die Schmerzgrenze verlangsamt (Screwed). Einzelne Parts des gleichen Stücks (oder eines anderen, wen interessiert das schon so genau) werden zerhackt, beständig wiederholt, gescratcht oder andersartig manipuliert obendrauf gepackt (Chopped).
"Wir nennen es Screwed & Chopped Music, um unsere Hochachtung für den legendären DJ Screw zum Ausdruck zu bringen", so Paul Wall, in der Mitte der 00er Jahre ein populärer Vertreter des Houston-Sounds. "Man nennt ihn auch The Originator." Selten besteht über die Urheberschaft für ein ganzes Genre vergleichbare Einhelligkeit: DJ Screw, mit bürgerlichem Namen Robert Earl Davis Jr. aus dem Süden Houstons, hat's erfunden.

Bereits um 1990 beginnt er, an der Pitch-Funktion seiner Plattenspieler herumzuspielen. "Eines Tages legte er ein Mantronix-Album auf", erinnert sich Screws Cousin Big Bub, der Boss von Screwed Up Records & Tapes, wo man noch Jahre nach Screws Tod mit dessen Tapes handelt. "Zum ersten mal hörte ich ein heruntergeschraubtes Stück. Er spielte es langsamer ab als vorgesehen und fuhr total auf den Klang ab. Er probierte immer weiter herum, und ungefähr ein Jahr später hatte er ein ganzes Tape, alles verlangsamt."

Bei einem Band soll es nicht bleiben. Screw produziert zwar nur eine Hand voll Alben, wirft aber Hunderte von Mixtapes auf den Markt. Sein triefender, hypnotischer Sound inspiriert die Rapper in seinem Umfeld. Schon bevor Chopped & Screwed seinem Siegeszug durch den Süden antritt, verwendet Willie D für "Die" (auf "I'm Goin Out Like A Soldier" ) ein verlangsamtes Scarface-Sample.

Screw lädt die MCs aus seiner Nachbarschaft ein, auf seinen Tapes, die sich häufig um ein Leitmotiv drehen, mitzumischen. Erst einfache Shout Outs, später ausufernde Freestyles. Zu dieser Zeit spricht allerdings noch keiner von Chopped & Screwed. Eine Tape von Screw ist einfach ein Screw-Tape - oder ein "Grey Tape", der grauen Kassetten wegen, die er zu verwenden pflegt.

Screw unterstützt die lokale Szene. In seinem Umfeld findet sich die Screwed Up Click zusammen. Mitte der 90er schlägt Screw ein lukratives Angebot von Priority Records aus. "Es ging ihm nicht ums Geld. Er ging ihm darum, das zu tun, worauf er Lust hatte - zusammen mit seinen Homeboys." Lil' Flip, Big Pokey, E.S.G., Big Hawk und wie sie alle heißen, wissen genau, was sie Screw zu verdanken haben. Hawk bringt es auf den Punkt: "Er gab uns allen Karrieren."

Handelt es sich bei den ersten Chopped & Screwed-Versionen noch um Instrumentals, über die Rapper ihre Shouts und Freestyles setzen, werden später zunehmend Vocal-Tracks durch die Mangel gedreht, über die gelegentlich getoastet wird. Screw vergreift sich an R. Kellys "I Wish", Bone Thugs-N-Harmonys "Budsmokers Only" und produziert für Lil' Flip "Game Over".

DJ Screw steht für den Süden Houstons. Im Norden der Stadt übernimmt auf Drängen seiner Homies Michael 5000 Watts das Ruder und dreht an den Geschwindigkeitsreglern. Mitte der 90er gründet er Swishahouse, das rasch zu einem der erfolgreichsten Labels am Ort avanciert. Obwohl sich zwischen Nord- und Süd-Houston eine kleine Rivalität entwickelt, zollt Watts seinem Kollegen immensen Respekt: "DJ Screw hat es erschaffen, als erster, das wird immer so bleiben." Michael 5000 Watts verwendet bewusst den Terminus "Chopped & Screwed".

Am 16. November 2000 wird DJ Screw tot in seiner Wohnung aufgefunden. Als Todesursache wird ein Herzanfall festgestellt. Sein Cousin erzählt später im Interview, Ärzte haben bei Screw bereits früher Herzbeschwerden diagnostiziert. In seinem Blut wurde zudem reichlich Codein gefunden, was auf Screws exzessiven Genuss der in der Szene üblichen Droge zurück zu führen ist.

Codeinhaltiger Hustensaft, auch als Syrup, Sizzurp, Drank oder Texas Tea bekannt, wird im Süden bereits seit den 60ern nicht nur zur Behandlung von Halsbeschwerden eingesetzt. Anfang der 90er boomt der Konsum. In gewisser Weise illustriert die Ästhetik von Chopped & Screwed die Wirkung von Codein auf die Wahrnehmung und ist damit eng mit der Droge verbunden. "Sippin' On Some Syrup" tönt es 2000 aus den Reihen der Three 6 Mafia.

Als Screw im November stirbt, hat sich der von ihm kreierte Stil bereits ausgebreitet. In Miami, Atlanta, New Orleans schlürft man seinen Sirup zu Chopped & Screwed-Sound. Screws Tod und die nachfolgenden Gedenk- und Huldigungs-Stürme lenken jedoch die Aufmerksamkeit wieder nach Houston, wo nun Michael 5000 Watts im Amt des prominentesten Slowed-Botschafters Screws Erbe antritt.

David Banners "Mississippi: The Album" von 2003 soll der erste Longplayer auf einem Major-Label sein, der in einer Chopped & Screwed-Version auf den Markt kommt. Für den Remix zeichnet Watts verantwortlich. Banners Label Universal wittert nach diesem Erfolg Morgenluft. Bald wird nahezu jede Southern Hip Hop-Platte auch in einer heruntergeschraubten Version angeboten. Oftmals stellen die Verkaufszahlen der Chopped & Screwed-Fassungen die der Originale weit in den Schatten.

Die Technik geht mit der Zeit. Für das, was einst mit Plattenspielern und Effektgerät bewerkstelligt wurde, wird spezielle Software entwickelt.

Swishahouse etabliert Künstler wie Chamillionaire, Paul Wall, Slim Thug, Mike Jones und die Color Changin' Click und entwickelt sich zur ersten Adresse am Platz. Unter Watts' Regie lässt Chopped & Screwed endgültig die Stadtgrenzen Houstons hinter sich. Anfang 2005 boomt das Genre wie nie zuvor: Der "Whisper Song" der Ying Yang Twins, T.I.s "You Don't Know Me" und vor allem Mike Jones' "Still Tippin'" sind allgegenwärtig. In Deutschland versucht sich unter anderem der Berliner Produzent Frauenarzt am zähen Houston-Sound.

Chopped & Screwed, die Antithese zum irrwitzigen Crunk, streckt bald seine Fühler auch über den Tellerrand des Hip Hop hinaus. In Ciaras "Oh", eigentlich einer R'n'B-Nummer, stecken verlangsamte Passagen. Insbesondere in Australien erfreut sich Screw Rock einiger Beliebtheit. In der Geburtsstadt von Chopped & Screwed macht man sich allerdings keine Sorgen: Egal, wie groß oder international die Sache wird, es wird doch immer ein Teil Houstons sein.
 
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Crossover
Ursprünglich bedeutete Crossover nichts anderes als Grenzgänger- Grenzgänger zwischen Jazz, Rock, Folk und Pop. So um das Jahr 1975 orientieren sich Flora Purim an brasilianischer Lebensfreude, Stanley Turrentine an eingängigen Bläsersätzen, George Benson an tanzbarer Popmusik. Deodato bearbeitete ‘Also sprach Zarathustra' von Richard Strauß und stürmte die Hitparaden. Kreativität steht vor stilistischem Schubladendenken; Spielfreude und eingängige Melodien vor virtuoser Perfektion.

Eine emotionsgeladene Bereicherung des Jazz sollte es von Anfang an sein. Im Lauf der Zeit wurden die Grenzen immer fließender, immer mehr Stile wurden unter Crossover vereint. Heute überschreiten meist Hip-Hop, Funk, Metal und Rap die Grenzbereiche mühelos. Nachdem zu Beginn der 90er auch Musik der härteren Gangart chartstauglich wurde, schossen Crossoverbands wie Pilze aus dem Boden. Rage Against The Machine veröffentlichten 1992 ihren Erstling und legten damit die Richtung fest, in die Crossover sich in den nächsten Jahren bewegen sollte. Deutsche Bands wie Such A Surge oder H-Blockx wollten vor allem eins: Schneller, härter, lauter.

Am Ende der Neunziger schien man in einer Sackgasse angekommen - Stagnation machte sich breit. Bis ein paar Bands aus Californien -allen voran Korn - neue Ideen einbrachten.
 
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Crunk
"Was immer man über Crunk sagen mag, man muss mit Lil Jon anfangen." Weise Worte, die Ying Yang Twins-Produzent Mr. Collipark aka DJ Smurf da spricht. Er muss es wissen, schließlich trägt er seine Nase nicht erst seit gestern in Atlantas Club-Szene spazieren.

Auch, wenn einige Quellen den Beginn der Bewegung in Memphis verorten, gilt die Hauptstadt Georgias doch als Crunk-Bastion Nr. 1. Während im texanischen Houston Chopped & Screwed dem Sound einer ganzen Stadt einen Stempel aufdrückt, regiert in Atlanta die markerschütternde Antithese zum verlangsamten Kaugummi-Sound. From the window to the wall - everybody get crunk!
Kritiker bemängeln an Crunk, dessen Wurzeln tief in die im Süden der USA populäre Bass Music reichen, die billigen Strickmuster und den erbärmlich mageren lyrischen Gehalt, falls man einen solchen überhaupt vorfindet. Tiefe, harte, stampfende Bässe, die nicht selten einer Roland TR-808-Drummachine entspringen, geben den Ton an. Vier Takte, die endlos über die ganze Länge des Tracks geloopt werden, reichen als Grundlage für eine Crunk-Nummer vollkommen aus.

Verziert wird dieses Gerüst mit unkomplizierten Keyboard- oder Synthie-Klängen sowie einigen markanten Effekten. Besonders schrille Sounds wie Trillerpfeifen, Klirren, splitterndes Glas oder Ähnliches erfreut sich großer Beliebtheit. Über diese Mischung rappen, singen, in erster Linie aber brüllen mehr oder weniger begnadete, stets aber hochgradig energiegeladene Schreihälse ihre ebenso simplen wie repetitiven wie eingängigen Hooks, die oft nur aus einem Wort bestehen. "Whut?" "Okay!" "Yeah!" Sehr weit entfernt von den Tatsachen bewegt sich Dave Chappelles großartige Lil Jon-Parodie auch bei eingehender Betrachtung nicht.

Aber wer achtet schon auf Texte, wenn im Club die Hölle losbricht? Richtig - keine Sau. Crunk als die Hip Hop-Entsprechung zu Punk-Rock oder Punk-Metal anzusehen, trifft zumindest dann den Nagel auf den Kopf, wenn man die Verwandlung vom Dancefloor zum Moshpit beobachtet. Derbe, aggressiv und unfassbar clubtauglich entwickelt sich Crunk zum erfolgreichsten Exportartikel des Dirty South.

Doch was soll das überhaupt bedeuten, "crunk"? Mit der Herkunft des Begriffes geht der Streit schon los: Darüber gehen die Meinungen nämlich kräftig auseinander. Schlichte Betrachtung des Phänomens Crunk stützt die Theorie, die Bezeichnung sei aus der Verbindung der Worte "crazy" und "drunk" entstanden. Auch eine Ableitung aus "chronic" oder "crack" in Verbindung mit "drunk" wird diskutiert: Multi-Intoxikation mit verschiedenen Genussgiften (in erster Linie Alkohol, Marihuana und/oder Kokain) begegnet man jedenfalls durchaus das eine oder andere Mal - von der verheerenden Wirkung des codein-haltigen Gesöffs, das auch als Crunk-Juice gehandelt wird, einmal ganz abgesehen.

Die ebenfalls in Erwägung gezogene Abstammung aus der Kombination von "crazy" mit "funk" scheint dagegen ähnlich unwahrscheinlich wie ein Ursprung beim im Jiddischen gebräuchlichen "crank" (für "krank" ). Letterman-Nachfolger Conan O'Brien nutzt das Kunstwort "krunk" in seiner Late Night-Show als Multifunktions- Kraftausdruck, durch den er die "seven dirty words", die im Fernsehen tunlichst zu vermeiden sind, ersetzt. O'Brien verhilft dem Wort, den er aus einem Zitat von Ice-T (und dieser höchstwahrscheinlich bei irgendeinem Südstaaten-Rapper) abkupferte, Mitte der 90er zu immenser Verbreitung. Für Lil Jon bezeichnet "crunk" einen Zustand gesteigerter Erregung.

Die Ursprünge des Crunk reichen bis in die frühen 90er Jahre zurück. Der Terminus fällt bereits in den Lyrics zu Outkasts "Players Ball" und "Hootie Hoo" aus den Jahren 1993 und '94. Als erste Crunk-Single findet 1997 "Tear Da Club Up '97" von der Three 6 Mafia Beachtung: Der Track landet immerhin unter den ersten 30 der US-amerikanischen Rap-Charts.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends bricht das Crunk-Fieber aus. Lil Jon und die East Side Boyz beginnen 1997 mit "Get Crunk Who U Wit", befinden 2000, "We Still Crunk" und krönen sich 2002 zu "Kings Of Crunk", ein Titel, den ihnen wahrhaft niemand absprechen will. Kein König ohne Königin: Atlantas Rasheeda gilt als Queen des Genres. In den Rollen "Prince", "Princess" und "Godfather" machen Lil Scrappy, Ciara und Petey Pablo würdige Figuren. Daneben etablieren sich neben zahllosen anderen David Banner, Fatman Scoop, Bone Crusher und die Ying Yang Twins in der Szene.

2003 sprengt Crunk vollends Atlantas Stadtgrenzen. Hits wie "Never Scared" (Bone Crusher feat. T.I.), "Salt Shaker" (Ying Yang Twins feat. Lil Jon), "Damn" (Youngbloodz feat. Lil Jon) oder "Get Low" (Lil Jon feat. The Ying Yang Twins" ) erschüttern die Clubs landauf, landab und schlagen Wellen bis über den großen Teich. Lil Jons Allgegenwärtigkeit fällt auch diversen Juroren auf: Er wird mit dem American Music Award für den besten Hip Hop-Act ausgezeichnet und kassiert den Source-Award in den Kategorien "Best Artist" und "Best Video".

Im Jahr darauf produziert Lil Jon mit "Yeah" für Usher und "Goodies" für Ciara zwei weitere Charts-Stürmer, die Crunk endgültig den Weg in den Mainstream öffnen. Sein eigenes Album erscheint unter dem Titel "Crunk Juice". Mit "Crunk!!!" vertreibt Lil Jon inzwischen zudem einen Energy-Drink. Mit dem Crunk-Magazine bekommt Crunk sein Journal, mit dem Crunkfest sein jährlich stattfindendes Festival. In Europa erfreut sich Atlantas Clubsound ebenfalls wachsender Beliebtheit. Kanye West etikettiert die Produktionen der schottischen Franz Ferdinand gar als "White Crunk".

Das Schlusswort einer Geschichte, die ihren Höhepunkt 2007 vermutlich noch nicht erreicht hat, geht an Purple Ribbon All Stars-Mitglied Killer Mike: "Das Beste an Crunk ist, dass es den Leuten immer noch Angst einjagt", bemerkte dieser gegenüber USA Today. "Das ist, was gute amerikanische Musik seit jeher getan hat. So war es bei Little Richard. So war es bei Parliament-Funkadelic. So war es bei Rap in seinen Anfängen. Ich hoffe, es dauert noch eine Weile, bis wir Werbespots für Pepsi oder Coca-Cola machen."  
 
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Dirty South 
"See powder gets you hyper, reefa makes you calm / Cigarettes give you cancer, woo woo's make you numb / What you niggas know about the Dirty South? / What you niggas know about the Dirty South?" Eigentlich wollen die Herren von Atlantas Goodie Mob mit "The Dirty South" (zu finden auf ihrem Debüt-Album "Soul Food" von 1995) die Klischees in Frage stellen, die über Rap aus dem tiefen Süden kursieren. Nebenbei verpassen sie so einem überaus komplexen Phänomen einen griffigen Titel.

Wer bei der Betrachtung von US-Hip Hop sein Augenmerk lediglich zwischen Ost- und Westküste hin- und herschweifen lässt, dem bleibt Wesentliches verborgen. Abseits dieser blühenden Zentren entwickelt sich im amerikanischen Süden eine eigene Szene, wie sie vielfältiger kaum sein könnte.
Betrachtet man den Facettenreichtum, den Hip Hop hier an den Tag legt, wird schnell deutlich: "Dirty South" (auch Down South oder Southern Rap) bezeichnet weniger musikalische Besonderheiten, vielmehr aber die geographische Herkunft seiner Urheber. Anders wären der sexistische Miami Bass der 2 Live Crew, der Southern Hardcore-Style der Geto Boys, die lyrischen Ergüsse von Arrested Development, Bubba Sparxxx' Country-Raps und Traktorenrennen, flockiger Funk von Outkast, Lil Jons Crunk-Juice-getränkte Schreitiraden, der Strip-Club-Sound von Mike Jones oder den Ying Yang Twins und DJ Screws zerhackstückte und bis an die Schmerzgrenze verlangsamte Tracks kaum unter einen Hut zu bringen.

Die Aufzählung macht deutlich: Im dreckigen Süden ist man aufgeschlossen. Ganz verschiedene Strömungen finden Verwendung. Einflüsse aus unterschiedlichsten Genres werden in den meist synthie-lastigen Produktionen verwurstet und grenzüberschreitende Innovationen gewagt. Solange das Resultat tanzbar und clubtauglich gerät und man möglichst noch Gelegenheit bekommt, (vorzugsweise mit Hilfe glitzernder Juwelen und dicker Luxuskarossen) seinen Reichtum zur Schau zu stellen, ist die Welt in allerbester Ordnung. Sampling spielt im Dirty South eine eher untergeordnete Rolle. Dafür findet man hier zugleich die schnellsten und die langsamsten Rhythmen der Rap-Geschichte.

Die in den 80ern tonangebenden Hip Hop-Labels schenken Rap aus den Südstaaten keinerlei Aufmerksamkeit, was nicht weiter verwundert, operiert man hier doch fernab der riesigen Absatzmärkte New York und Los Angeles. Wer es in Houston, Miami, Atlanta oder New Orleans zu etwas bringen will, ist auf Do-It-Yourself und eine florierende Indie-Szene angewiesen. Mixtapes entwickeln sich zum Medium der Stunde.

Mitte der 80er hebt Miami Bass zu seinem ersten Höhenflug ab. In der Tradition von Luther Campbells 2 Live Crew bringen im Lauf der Jahre zahlreiche Acts die Bootys der Nation zum Schütteln, nicht wenige davon (wie beispielsweise Trick Daddy) unter dem Dach von Slip-N-Slide.

Weniger partylastig, dafür inhaltlich wie musikalisch näher am Gangsta-Rap der Westcoast, treten Ende des Jahrzehnts die Geto Boys auf den Plan. Ihr Debüt feiern diese Herren 1989 vor Ort in Houston, Texas und erregen damit die Aufmerksamkeit Rick Rubins, der nur ein Jahr später das USA-weite Debüt der Crew präsentiert. Mit "Mind Playin' Tricks On Me" verzeichnet der Süden seinen ersten Superhit. "Dieser Track hat Rap aus dem Süden Tür und Tor geöffnet", bringt es Andre 3000 von Outkast auf den Punkt. Houston rückt ins Scheinwerferlicht. Die hier ansässigen Rap-A-Lot Records avancieren zum wirtschaftlich erfolgreichen Southern Rap-Label Nummer 1, dessen Boss Scarface zum ersten rechtmäßigen Träger des Titels "King of the South".

Ein halbes Jahr nach den Geto Boys debütieren Arrested Development in Tennessee, und ihre Berichte aus "3 Years, 5 Months & 2 Days In The Life Of ..." haben mit Sexismen aus Miami ebenso viel gemein wie mit den Gangsta-Lyrics aus Houston: Nichts. Statt dessen ebnen Arrested Development den Weg für Acts wie Outkast, die Dungeon Family und Goodie Mob. "ATLiens" treten gleich reihenweise auf den Plan: Atlanta entwickelt sich zu einem Zentrum des Dirty South. Nach ihrem großartigen Debüt erleben Outkast 2000 mit "Stankonia" den verdienten Durchbruch.

Unterdessen verfolgt Percy Miller unter seinem Alias Master P eine ganz andere Strategie. Aus seinem in Richmond gegründeten Plattenladen geht das Label No Limit hervor, das in den späten 90er Jahren nach einem Umzug nach New Orleans seine Blütezeit erlebt. Weit kommerziellere Töne, als sie in Atlanta erschallen, dringen an die Ohren eines äußerst kaufwilligen Publikums. Unter dem diamantenbewehrten Panzer-Logo feiern Silkk The Shokker, C-Murder, Mystikal, aber auch Snoop Dogg beachtliche Erfolge. Bunte Cover und Bling-Bling bis der Arzt kommt sorgen für den nötigen Wiedererkennungswert.

Einem ähnlichen Konzept hängt man, ebenfalls in New Orleans, bei Cash Money Records an. Hier finden unter anderem Pastor Troy und Lil Wayne eine Heimat. No Limit allerdings stößt an seine Grenzen. 2003 steht Master P vor dem Bankrott und streicht die Segel, gründet aber schon kurz darauf unter dem ausgesprochen kreativen Titel The New No Limit Records das nächste Unternehmen.

Werfen wir doch noch einmal einen Blick nach Houston. Hier experimentiert DJ Screw seit Beginn der 90er mit seiner eigenen Interpretation des dreckigen Südens und macht dabei seinem gewählten Künstlernamen alle Ehre. Überall dreht sich die Welt immer schneller, Screw schraubt das Tempo zurück. Langsamer, noch ein bisschen langsamer, quälend langsam. Hypnotisch und unaufhaltsam schrauben sich die sirupartigen Klänge in die Gehörgänge. Hübsch garniert mit zerhackten, wieder und wieder abgespielten Zeilen, die gerne auch aus einem ganz anderen Track stammen dürfen, kreiert Screw ein Sub-Genre, dessen Name eigentlich alles aussagt: Seine Musik ist Chopped & Screwed.

Als DJ Screw im November 2000 das Zeitliche segnet, durchdringt der von ihm kreierte Sound bereits den kompletten Süden. Labels wie Swishahouse nehmen sich seiner an. Michael 5000 Watts, Mike Jones, Paul Wall, Chamillionaire, Slim Thug und zahllose andere kommen auf dieser Schiene zu Ehren. Nicht selten verkaufen sich die Chopped & Screwed-Versionen von Alben besser als deren Originalfassungen.

Während sich in Virginia um Missy Elliott, Pharrell und die Neptunes, Timbaland und Clipse eine weitere Hip Hop-Metropole herauskristallisiert und Bubba Sparxxx die Kühe über den Zaun muhen lässt, bricht um die Jahrtausendwende in Memphis und Atlanta der Crunk-Wahnsinn aus. Die volle Konzentration liegt auf der (Strip-)Club- Tauglichkeit. Das Verlangen nach politischen, sozialkritischen oder spirituellen Inhalten spült man am besten mit einem ordentlichen Schluck Sizzurp herunter.

"To the windoooow, to the waaaaall!" Einfachste, sich penetrant wiederholende Hooklines werden vorzugsweise markerschütternd gebrüllt vorgetragen. Schreihälse wie Lil Jon und die Eastside Boyz, die Youngbloodz oder die (für ihren Beitrag zum Soundtrack von "Hustle & Flow" sogar Oscar-prämierte) Three 6 Mafia haben ihre Bestimmung und auch einigen Mainstream-Erfolg gefunden. Zwischen all den Kings of Crunk trägt Ciara das Krönchen der Princess des Genres.

Ob in Atlanta, Georgia, Houston, Memphis, New Orleans oder Virginia: Der Süden der USA rockt, und das derbe, lauthals und vor allem dreckig. Nicht nur Usher hat's erkannt: "Yeah!"
 
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Grime 
Seit Ende der 90er Jahre brodelt und grollt es im Londoner East End. Im ohnehin in alle Richtungen wabernden, uferlosen Feld des UK Garage schleicht sich die Punk-Attitüde ein. Aus finsteren Basslines, scheppernden Snares, Hall, Samples und Stimmfetzen ballt sich eine nicht gerade kuschelige Soundwolke zusammen, in der Raps in aberwitziger Geschwindigkeit explodieren. Was ist das denn, bitte? Sublow, Dubstep, Eskibeat ... Bei Rephlex, dem Label von Richard D. James, bezeichnet man die Melange als "Instrumental Dance Music". Letztlich bleibt dem stinkwütend brüllenden Genrebaby der Name "Grime" anhaften.

Bei "Grime", so erklärt das allgemein anerkannte Oxford Advanced Learner's Dictionary, handle es sich um "Schmutz der sich in Schichten über Dingen ausbreitet". Schmieriger Ruß in den Gehörgängen? Na, vielen Dank. Matthew McKinnon von der kanadischen CBC bringt es auf den Punkt: "Grime ist schneller als Hip Hop, düsterer als Pop und kommt nirgendwo auch nur in die Nähe von Rock." Darüber hinaus britisch wie der Union Jack, rammt Grime gewaltsam eine Markierungsnadel in die musikalische Landkarte: London Is On The Map.
Aus dem aktuellen R'n'B schleichen sich zunehmend Melodien und Gesang in den Garage ein. Grime eliminiert diese verwässernden Einflüsse. Erste Grime-Klänge drischt um die Jahrtausendwende die So Solid Crew in den Äther. Zu den wegweisenden Tracks zählen das komplett auf einer Playstation 2 produzierte "Pulse X" von Musical Mob, sowie Wileys "Eskimo". "Wot Do U Call It?" Wiley, führender Kopf der Crew Roll Deep, bevorzugt den Begriff "Eski". Kurz für "Eskimo" trage diese Genrebezeichnung der im Grime transportierten emotionalen Kälte Rechnung. Wileys eigenes Label firmiert unter dem Namen Eskibeat.

Neben Wiley gilt ein weiterer junger Mann als Gründervater der neuen Strömung: Ehemals ebenfalls in den Reihen von Roll Deep zu Hause, schwingt sich Dizzee Rascal zum Star der Szene empor. Nach seinem Debüt-Track "I Luv U" zieht sein Album "Boy In Da Corner" erstmals die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf sich. Bisher fand Grime fernab vom Mainstream in Clubs oder aber - der klassische Verbreitungsweg abartiger Sounds - bei Piratensendern wie Raw Blaze oder Rinse FM statt. Dizzee Rascal aber kassiert für "Boy In Da Corner" den Mercury Prize 2003. Wiley legt 2004 mit "Treddin' On Thin Ice" nach. Lethal Bizzle steuert mit "Pow! (Forward)" eine wahre Hymne bei: Zehn Vokalisten teilen sich dreieinhalb Minuten Laufzeit, Gelegenheit zum Atmen bleibt da kaum.

Mit "Crews Control" erscheint bei einem Sublabel von Warner ein Sampler, der allerdings eher die Vorläufer von Grime beleuchtet. Als Einführung in das Genre und seine Protagonisten eignet sich statt dessen die Kollektion "Run The Road", die Anfang 2005 bei 679 zusammengestellt wird. Neben exklusiven Beiträgen von Roll Deep, Kano, Durrty Goodz, Ears and Wonder, Plan B und No Lay finden sich hier Tracks von Dizzee Rascal und The Streets. Der große Wurf des Jahres 2005 stammt dann schon gar nicht mehr aus einem Londoner Keller: Virus Syndicate tragen die Welle von Manchester aus mit "The Work Related Illness" weiter.

"Für amerikanische Ohren, die mit dem Real Thing aufgewachsen sind, hört sich Grime auf eine verstörende Weise falsch an - das Herausplatzen der MCs hat keinen Flow, die asymmetrischen Zahnlückengrooves scheinen halb fertig und defekt." Diesen Blödsinn verbreitet Simon Reynolds im britischen Observer und der Berliner tageszeitung. Wer den zu 140 Beats per Minute abgefeuerten Rhyme-Salven der Grime-MCs den Flow absprechen möchte, der putze sich doch bitte den Ruß aus den Ohren.
 
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Grunge 
 
Ende der 80er Jahre entwickelte sich in Seattle, USA eine Musikszene deren Kraft und Emotionen noch weit in die nächste Dekade hineinragen sollte. Bands wie Soundgarden, Alice In Chains, Nirvana und Pearl Jam veränderten Musikperzeption und schrieben Musikgeschichte.

Dies lag nicht zuletzt an der Musikindustrie, die sich auf die Seattler Bands warf, wie die Fliegen auf den Mist. Um die Hauptstadt temporärer Musik einheitlich vermarkten zu können, bezeichnete man einfach alles als Grunge und schuf so eine Corporate Identity für Bands, die diese gar nicht wollten.
Ursprünglich stammt der Begriff des Grunge-Rock aus den späten Sechzigern. Iggy Pop and the Stooges, MC5 und Velvet Underground trugen damals diese Bezeichnung. Er beschrieb die fehlende technische und musikalische Fertigkeit der Bands und stand gleichzeitig für Aggression, Dynamik und Enthusiasmus. Rauher, disharmonischer Klang, dominiert von halbverzerrten Gitarrensoli. Dieser Stil wird als Quelle und Inspiration der Punkbewegung angesehen und wurde auf die modernen Seattle-Grunger übertragen.
 
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Hip Hop 
 
Um den Aufschrei der Puristen vorweg zu nehmen: Ein Artikel über Hip Hop hat im Grunde nichts in einem Genre-Lexikon zu suchen, bezeichnet der Begriff doch viel mehr als einen Musik-Stil. Hip Hop, oft fälschlicherweise mit Rap-Musik gleichgesetzt, geht weit darüber hinaus.

Neben Rap (früher oft als MCing bezeichnet) und DJing zählen Graffiti (Writing) sowie Breakdance (auch B-Boying) zu den Säulen, auf denen die Hip Hop-Kultur beruht. Gerade den oft vergessenen B-Boys kann nicht genug Respekt gezollt werden: Es waren die Tänzer, deren Bedürfnisse die DJs der ersten Hip Hop-Tage leiteten und inspirierten, und die so die Grundlage für die immense Popularität des neuen Sounds legten. Mittlerweile umfasst Hip Hop weitere Disziplinen wie Beatboxing, Producing und Street Fashion und darf schon lange nicht mehr als "Jugendkultur" betrachtet werden: Nach über drei Jahrzehnten ist man den Kinderschuhen wahrhaftig entwachsen.
New York zu Beginn die Siebziger Jahre: Offensichtliche Rassenschranken sind abgebaut, die erste Generation Post-Soul-Kids vorwiegend afroamerikanischer oder puertoricanischer Abstammung genießt auf dem Papier die gleichen Rechte, wie sie der weißen Bevölkerung zuteil werden. Die Realität errichtet jedoch neue Barrieren. Armut, Drogenkonsum und Bandenkriminalität bereiten in den benachteiligtsten Vierteln New Yorks den Boden, in den Hip Hop seine Wurzeln gräbt.

In bester jamaikanischer Soundsystem-Tradition bedient Kool DJ Herc in der ersten Hälfte der 70er auf seinen Block Parties das tanzwütige Volk. Um die Menge in Bewegung zu halten, setzt er besonders auf die Breaks, verlängert die instrumentalen, oft percussion-lastigen Passagen seiner Platten, und kreiert so eine Technik, die später als Beatjuggling bezeichnet werden soll.

Grandmaster Flash, ein Bastler vor dem Herrn, setzt noch etliches an Methoden drauf: Auf ihn gehen Cutting und Phasing, heute allgegenwärtige DJ-Standards, zurück. Auch die ersten Backspins werden ihm zugeschrieben. Das Scratching hingegen soll eine Erfindung seines Schützlings Grandwizard Theodore gewesen sein. Weithin populär machte diese Art und Weise, Platten zu kratzen, jedoch erst Grandmixer D.ST gemeinsam mit Herbie Hancock in "Rockit" von 1983.

Fehlt, neben Herc und Flash, noch der dritte Gründervater der Hip Hop-Kultur: Afrika Bambaataa bringt mit der von ihm ins Leben gerufenen Zulu Nation afrozentrische Gedanken, seine "Peace, Love, Unity and Having-Fun"-Philosophie sowie immense musikalische Bandbreite ins Spiel. Neben Soul, Funk und Latin verwurstet Bambaataa, was immer ihm in die Hände fällt. Auch futuristische Elektronica eines obskuren deutschen Quartetts sind vor Bam keineswegs sicher, wie "Planet Rock", der erste auf Sampling basierende Hit seiner Soul Sonic Force, beweist.

Bambaataa, Herc und seine Herculoids, Flash und die Furious Five, Lovebug Starski und DJ Hollywood rocken die Szene bereits lange bevor die erste Hip Hop-Platte gepresst wird. Nicht einmal der Begriff "Hip Hop", der auf lautmalerische Gesänge zurück geht, deren Ursprung abwechselnd Starski oder dem Furious Five-MC Cowboy angedichtet wird, ist zu dieser Zeit in Gebrauch: Nö, einstweilen spricht man noch von "Disco Rap".

Hip Hop aus der Konserve hört man erstmals 1979 auf einem Tonträger der Fatback Band. Bei deren Label Spring Records unterschätzt man allerdings das wirtschaftliche Potential, das in Rap-Music schlummert, und versteckt die Nummer "King Tim III (Personality Jock)" mit King Tim auf der B-Seite von "You're My Candy Sweet". Ein besseres Händchen für Trends beweist man bei Sugar Hill: Noch im gleichen Jahr landet die Sugarhill Gang mit "Rapper's Delight" einen sensationellen Erfolg. Als erster Star der Szene freut sich Kurtis Blow über einen Major-Deal in seiner Tasche.

Neben den anfangs dominierenden Partythemen hält die Sozialkritik Einzug: Grandmaster Flash und die Furious Five schlagen mit Nummern wie "The Message" und "White Lines" ernstere Töne an. Mitte der 80er liegt Crossover voll im Trend: Run DMC oder die Beastie Boys rappen über harte Gitarrenriffs und sondieren so neues Terrain. "Yo! Bum Rush The Show" melden sich Public Enemy zu Wort und verstehen sich als politisches Sprachrohr ihrer Hörerschaft: Wenn man so will die Geburtswehen des Conscious-Rap. Eine neue Generation von MCs übernimmt das Mic. Die Rivalität der New School gegenüber der Old School manifestiert sich unter anderem in der immer wieder aufgekochten Fehde zwischen LL Cool J und Kool Moe Dee.

Drogen, Gewalt und das Ghetto sind stets Themen im Hip Hop. Schoolly D verleiht dieser Sparte eine neue Qualität: "Sein kühler, spöttischer Ton jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken", erinnert sich Musikjournalist Nelson George an seinen ersten Kontakt mit Gangsta-Rap. Mit N.W.A. "Straight Outta Compton" tritt die West Coast auf den Plan.

In New York, wo intellektuelle Strömungen (wie sie die Native Tongues Posse mit De La Soul, A Tribe Called Quest, Black Sheep oder den Jungle Brothers hervor bringen) und politische Statements (KRS-One, Public Enemy) den Ton angeben, bangt man um den Status als Nabel der Hip Hop-Welt.

Trotz aller in den Medien aufgebauschten Theatralik handelt es sich bei dem berüchtigten East Coast / West Coast-Konflikt weniger um eine territoriale Auseinandersetzung denn um Händel zwischen zwei rivalisierenden Labels, zwischen Bad Boy Entertainment auf der einen und Death Row Records auf der anderen Seite. Bevor der Streit beigelegt wird, fallen ihm zwei vielversprechende junge Künstler zum Opfer: Am 7. September 1996 wird Tupac Shakur in Los Angeles erschossen, ein halbes Jahr später ist auch sein Kontrahent Notorious B.I.G., der King of New York, tot. Beide Morde bleiben unaufgeklärt.

Nas, der Wu-Tang Clan und Mobb Deep prägen mit Meilensteinen wie "Illmatic" oder "Enter The 36 Chambers" den Eastcoast-Sound der 90er. Im allgemeinen Bewusstsein dominiert jedoch die funklastige, textlich kompromisslose Attitüde des Gangsta-Rap. Erst gegen Ende des Jahrzehnts flaut dieser Trend ein wenig ab. Einflüsse aus Reggae, Dancehall, Elektro-Funk sowie eine zunehmende Rückbesinnung auf R'n'B und Soul sorgen für Schnittflächen zum Mainstream-Geschmack.

Hip Hop breitet seine Tentakel aus. Schon lange beschränkt sich die Produktivität in den USA nicht mehr auf die Küsten. In Philadelphia und Detroit florieren die Szenen, der amerikanische Süden stellt mit Dirty South seine eigenen ästhetischen Regeln auf.

Längst hat man es mit einem globalen Phänomen zu tun: Frankreich entwickelt sich mit Acts wie NTM, I Am oder MC Solaar zum Dreh- und Angelpunkt der europäischen Hip Hop-Welt. Rap boomt auch in Skandinavien. In Großbritannien entwickeln sich eigene Strömungen wie Britcore, Jungle und Grime.

Wieder sind es die Tänzer, die dem Trend in Deutschland zum Durchbruch verhelfen. Das Hip Hop-Fieber erreicht die Bundesrepublik Hand in Hand mit der über den großen Teich schwappenden Breakdance-Welle, die von Kinoproduktionen wie "Flashdance", vor allem aber durch Hip Hop-Streifen wie "Wild Style" oder "Beat Street" geschürt wird. Mit Boogaloo, Locking und Popping fing es an, neue Tanzstile kommen und gehen. Sieben Jahre nach der Jahrtausendwende tourt Tommy The Clown durch die Lande und führt mit Krumping und Clowning vor, was Breakdance mittlerweile vermag.

In Deutschland breakt sich Niels Robitzki unter seinem Alias Storm von der Straße auf angesehene Bühnen hoch und dreht sich zwischendurch auch in Werbespots für Schmerztabletten auf dem Kopf. Die musizierenden Kollegen stehen dem in nichts nach: Mit "Ahmet Gündüz" feuern die Jungs von der Fresh Familee in Ratingen West den Startschuss für Rap Made in Germany ab. In Stuttgart, Hamburg und Heidelberg brechen sich die unterschiedlichsten Spielarten von Hip Hop Bahn - lange bevor sich Rap in Deutschland zum flächendeckenden Phänomen und Berlin auch im Hip Hop-Kontext zur (selbsternannten) Hauptstadt erhebt.

"Um Hip Hop völlig verstehen zu können, braucht man vermutlich einen Abschluss in Soziologie, mehrere Knastaufenthalte und ein Gefühl für afrikanische Rhythmen." Nelson George, vom "Rolling Stone"-Magazin zum "besten Hip Hop-Kritiker des Planeten" erkoren, begleitete das Phänomen Hip Hop bei seinem Aufstieg von den Anfängen in den späten Siebziger Jahren in der Bronx bis hin zum weltweit allgegenwärtigen Mainstream-Konsumartikel. Neben David Toops "Rap Attack" sei historisch interessierten Heads die Geschichte seiner Hassliebe, wie er sie in "XXX - Drei Jahrzehnte Hip Hop" dokumentiert, wärmstens ans Herz gelegt.

Im Gegensatz zu zahlreichen anderen musikalischen und künstlerischen Trends, die seit den 60ern aufstiegen, blühten und verglühten, scheint sich Hip Hop die Aufforderung Afrika Bambaataas aus "Planet Rock" zu eigen gemacht zu haben: "Everybody just rock it, don't stop it / Gotta rock it, don't stop. / Keep tickin' and tockin', work it all around the clock / Everybody just rock it, don't stop it / Gotta rock it, don't stop."
 
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Industrial 
 
Zurück geht der Begriff Industrial auf den amerikanischen Musiker Monte Cazazza, der 1976 in einem Brief an Genesis P-Orridge, damals Sänger der englischen Band Throbbing Gristle, den Slogan "Industrial Music For Industrial People" verwendete und damit zum Namensgeber in gleich zweierlei Hinsicht wurde. Erstens gab er dem neugegründeten Label von Genesis P-Orridge's Band Throbbing Gristle den Namen (Industrial Records) und zweitens wurde später eine ganze Musikrichtung, als deren Archetypen Throbbing Gristle galten, so benannt. Dabei geht das "Industrial-Konzept" weit über die Musik hinaus und beinhaltet alle Sparten einer umfassenden ästhetischen Erscheinung, wie Literatur, Film und Theater, die ein negatives Spiegelbild unserer industrialisierten und technikfixierten Gesellschaft darstellen wollten.

Auf die Musik bezogen bedeutet Industrial meist monotone, repetitive Soundstrukturen, die oftmals mit Umweltgeräuschen, anfangs noch vom Band und später vom Sampler angereichert wurden, und so die Grenze zur Geräuschkollage neu definierten. Das alte Strophe-Refrain-Schema war den Industrial-Musikern ein Graus und wurde mit allen Mitteln vermieden.
Mutterland des Industrial ist Großbritannien, wo Throbbing Gristle Pionierarbeit leisteten, bevor Bands wie Cabaret Voltaire, Whitehouse oder Nurse With Wound die Szene bereicherten. Gleichwohl kamen auch aus den USA The Residents, NON) und Australien (SPK) erste vergleichbare Ansätze zu einer ähnlichen Kunst- und Musikproduktion. Dort war es Graeme Revell, Kopf der Gruppe SPK, der wesentlich die Entwicklung der neuen Musik beeinflusste und heute als Soundtrackkomponist, unter anderem bei den Filmen "The Crow" und "From Dusk Till Dawn", für die musikalische Untermalung sorgte. In Deutschland machten die Einstürzenden Neubauten den Industrial erst bekannt und dann hoffähig.

Allen Bands, die dem Genre Industrial zugeordnet werden dürfen, ist bei aller Verschiedenheit der Konzeptionen einiges gemeinsam. Alle veröffentlichten sie ihre Platten auf Independent-Labels, da die großen Plattenfirmen die Musik als zu extrem ablehnten. Auch in der Klangerzeugung wurden neue Wege beschritten. So benutzten sie Synthesizer und allerlei selbstgebastelte Geräte zur Erzeugung von Klängen und Geräuschen, die nicht selten in extremen Krachgewittern ihren Höhepunkt fanden. Hinzu kommt eine multimediale Inszenierung des Auftritts, häufig mit Schockelementen.

War es Ende der 80er ruhig geworden um die einst so wilde Musikrichtung, so tauchte der Begriff in den 90er Jahren im Popkontext im Zusammenhang mit Bands wie den Nine Inch Nails oder Rammstein wieder auf.
 
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No Wave
 
Blues is the Teacher, Funk is the Preacher (Blues ist der Lehrmeister, Funk ist der Prediger). So oder so ähnlich läßt sich No Wave auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner bringen.

Die Geschichte: Nachfolger von Electric Jazz war Free Funk, Funk mit freien Improvisationen. New Wave gabs Ende der 70er Jahre im Pop/Rock Bereich. Der Zeitgeist stand auf Wave. So kreierte James Blood Ulmer seine spezielle Welle: Er vereint Rockgitarre, Free Jazz, Funk und schwarze traditionelle Tanzmusik aus dem Süden der USA zu No Wave.
Luther Thomas ‘Dizzaz' und Ronald Shannon Jackson folgten. Heute sind No Wave Derivate noch einiges mehr, echt tanzbar. Expos Jazz & Joy (VeraBra) integrieren deutsche Rap-Texte von Exponential Enjoyment und Hip-Hop Beats in Free Jazz Kontexte von Basser Peter Kowald und Saxer Peter Brötzmann.
 
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PUNK 
Punk ist, ähnlich wie Hip Hop, wesentlich mehr als nur Musik. Punk ist vor allem auch Lebenseinstellung, Attitüde gegenüber Institutionen und Gesellschaft, Punk ist aber auch Mode, ja sogar Design. Vor allem aber, so hat es Rod, der dritte Bassist der Ärzte einmal formuliert, ist Punk das, was im Kopf passiert, nicht das, was man am Körper trägt.

Punk drückt vor allem eine rebellische Haltung aus, ist dabei selten konstruktiv und schon gar nicht gesellschaftskonform. Schon in seinen Wurzeln wendet sich der Punk gegen das, Ende der Sechziger Jahre in den USA weit verbreitete, Hippietum.
Dessen utopistischer Weltverbesserungssicht setzen die Proto-Punks eine desillusionierte Weltanschauung entgegen. In popularmusikalischer Hinsicht setzt in den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren eine Entwicklung ein, die zu immer pompöseren Produktionen führt. Stark konzeptuell rezipierte Musik dominiert im Gitarrenbereich, eine starke Solo-Lastigkeit zeugt von weit verbreitetem Muckertum.

Dem setzen die ersten Punks bewussten Dilettantismus entgegen. Tommy Ramone, Drummer der Ramones hat Punkrock einmal so definiert: "Pure, stripped down, no bull-shit Rock'n'Roll." Do It Yourself (DIY) wird über die Jahre zum Credo der Punkbewegung, und in der Tat sind viele der ersten Punkmusiker Autodidakten. Legendär ist die Geschichte von den Anfängen der Toten Hosen, nach der Campino und Co. die Instrumente untereinander ausgelost haben. Nicht umsonst wird Punkrock scherzhaft gerne als Dreiakkord-Sport bezeichnet.

Musikalisch gibt es vor dem Punk eine Art Protophase. In den sechziger Jahren sind in den USA Garagenbands aktiv, die einen sehr minimalistischen Rock-Sound spielen. Viele dieser Bands wurden von den Gruppen der British Invasion, allen voran den Kinks, The Small Faces und The Who, beeinflusst.

1969 beginnt dann die Phase des sogenannten Protopunk. Die Detroiter Formation MC5 veröffentlicht "Kick Out The Jams", wohl der erste populäre Song, der das Wort Motherfucker enthält. Im gleichen Jahr erscheint das Debütalbum einer weiteren amerikanischen Band namens The Stooges. Aber auch The Velvet Underground und ihr Protagonist Lou Reed sollen den Punk späterer Jahre stark beeinflussen.

1971 treten im Big Apple die New York Dolls auf den Plan. Sie spielen eine geupdatete Version des frühen Rock'n'Roll und gelten als erste Vertreter des exotischen Subgenres Glam-Punk. Gruppen wie Suicide, Television (deren "Marquee Moon" als Klassiker gilt), Devo und Pere Ubu weisen zwar eine musikalische Experimentierfreude auf, die man dem Punk nicht per se zuschreiben würde, gelten aber allesamt als Vorreiter des Genres.

Vielen Bands dieser Zeit ist eine ungewöhnliche Ästhetisierung des scheinbar Hässlichen gemein, in New York formiert sich eine ganze Kunstszene um die Protopunks. Rund um den Globus finden sich bereits vereinzelt Vertreter dieser neuen Musikrichtung, in Deutschland kann man gewissermaßen Neu! dazu zählen, in Australien gründen sich Radio Birdman.

In der ersten Hälfte der Siebziger kommt vermehrt der Gebrauch des Begriffs Punk auf. Ethymologisch ist die Geschichte des Worts nicht einwandfrei geklärt, es ist lediglich gesichert, dass es sich dabei um eine herabsetzende Bezeichnung handelt. In ihrer Ablehnung gültiger gesellschaftlicher Konventionen eignen sich die Punks den Terminus an.

1975 erscheint die erste Ausgabe des selbstgemachten Magazins "Punk". Die Musikfans Legs McNeil, John Holmstrom und Ged Dunn veröffentlichen das Heft, das aus kopierten Collagen besteht und prägen somit ein ganz eigenes Publikationsgenre, das Fanzine. Die DIY-Ästhetik des Hässlichen findet auch hier Einzug und hat in den nächsten Jahrzehnten ungezählte Nachahmer. "Punk" erscheint bis 1979 in 17 Ausgaben, 2006 wird es wiederbelebt.

New York ist, wie könnte es anders sein, auch die Geburtsstadt des Punk selbst. 1974 gründet sich hier eine der Formationen, die zu den großen Drei des Punk zählen soll, die Ramones. Sie treten schon bald im CBGBs auf, dem 1973 gegründeten Musik-Club in Manhattan. Besucher des Venues können den Dilettantismus der Band kaum fassen, sind aber ebenso fasziniert wie abgestoßen.

Weitere Bands, die im CBGBs performen und im weitesten Sinne dem frühen Punk oder dem Protopunk zugeordnet werden können, sind Blondie, Television und die Musikerin Patti Smith. Ihr 1975er Album "Horses" zählt zu einem frühen Meilenstein des Punk. Fast zeitgleich erscheint mit "Blitzkrieg Bop" die erste Single der Ramones. Punk ist geboren.

Quasi bei der Geburt dabei war ein Engländer namens Malcom McLaren. Er sollte einer der Protagonisten des britischen Punk werden. In New York hatte der kurzfristig die Dolls gemanagt, das Wissen wendet er in Zukunft bei den zweiten der Großen Drei an, den Sex Pistols.

Zunächst aber eröffnet er auf der Londoner King's Road den Modeladen SEX, den er zusammen mit einer der wichtigsten Modedesignerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts führt, Vivian Westwood. Hier verkaufen sie sogenannte Anti-Fashion, Kleidung, die integraler Bestandteil der Punk-Szene wird. Hier muss allerdings klar unterschieden werden zwischen Fans und Musikern. Die Anhänger kleiden, schminken und piercen sich bald nach strengen Vorgaben der Szenepolizei, um aufzufallen und zu schockieren.

Als Erkennungszeichen für einen "echten" Punker stehen gefärbte, hochgestellte Haare, mitunter ein Irokesenschnitt (ein schmaler, hochgestellter Haupthaarstreifen auf dem Scheitel des Kopfes, der Rest rasiert), gepiercte Ohren, Nase und Wangen, evtl. selbstgemacht mit Sicherheitsnadel, bunte, manchmal zerrissene Kleidung, karierte Hosen bzw. Röcke, Stiefel. Wert gelegt wird auf Individualismus und Anderssein. Im Laufe der Zeit erwächst daraus natürlich ein immenser Konformismus.

Die ersten Punk-Musiker selbst hingegen zeichnen sich zwar durch einen lockeren bis leicht verranzten Kleidungsstil aus, legen aber keinerlei Wert auf eine stringente Uniformierung. Ebenfalls bezeichnen sich die Aktivisten anfangs nicht als Punks.

Anfang Juli 1976 spielen die Ramones einige Gigs in London, viele Punks und Musiker sehen die New Yorker und sind inspiriert. Unter den Konzertbesuchern sind auch Mitglieder der Sex Pistols und von The Clash, der dritten großen Band des Genres. Der Juli 1976 gilt als Startschuss der Punk-Ära in der alten Welt.

Während die Ramones einen sehr poppigen Punk spielten, minimalisieren die Sex Pistols den Sound und gelten so als die typischste aller großen Punkbands. The Clash zeichneten sich durch eine besondere Experimentierfreude aus, sie inkorporierten andere Musikstile, vor allem Dub und Reggae in ihre Stücke.

Die Pistols, 1975 gegründet, bringen in ihrer kurzen Karriere bis 1978 lediglich vier Singles und ein Studioalbum (das legendäre "Never Mind The Bollocks, Here's The Sex Pistols" ) heraus, haben aber mit "Anarchy In The U.K.", "Pretty Vacant" und "God Save The Queen" drei epochale Punkhits produziert. Spätere Wiederbelebungsversuche der Band scheitern kläglich.

Die beiden Bandmitglieder John Lydon aka Johnny Rotten und Sid Vicious sind über ihr Genre bekannt geworden, ersterer wegen seiner markanten Stimme und seinem legendär großen Maul, letzterer wegen seines exzessiven Lebensstils und dem Selbstmord nach dem wohl von ihm begangenen Mord an seiner Freundin Nancy Spungen. Und wegen seiner Interpretation des Sinatra-Klassikers "My Way".

Während die Ramones zusammenbleiben, bis die Mitglieder nach und nach wegsterben (Joey stirbt 2001, Dee Dee 2002, Johnny 2004), ist auch The Clash nur eine begrenzte Karriere beschert. Sie kommen in zehn Jahren Bandgeschichte bis 1986 immerhin auf sechs Studioalben, entfernen sich auf Grund ihrer Experimentierfreude im Laufe der Zeit aber immer mehr vom originären Punkrock.

Singles wie "London Calling", "Rock The Casbah" oder "Should I Stay Or Should I Go" haben sie unsterblich gemacht. Den Pionieren folgen in den Jahren 1976 und 1977 viele andere Bands, die wichtigsten sind wohl The Damned, The Vibrators und The Buzzcocks.

Die Punkmusikszene leidet, wie andere Genres auch, unter einer starken Männerdominanz. Punkerinnen der ersten Stunde sind relativ rar gesät: Siouxsie und ihre Banshees, Patti Smith, Chrissie Hynde von den Pretenders, die Slits als reine Frauenband, Poly Styrene von X-Ray Spex und Blondies Debbie Harry sind die wichtigsten Vertreterinnen.

Ein politisch- emanzipatorisches Element im Punkrock entwickelt sich erst später. Während die Punkbands der ersten Stunde noch gemeinsam auf Tour gehen und in althergebrachten Venues und Universitäten auftreten, fangen die Bands der zweiten Welle (die 1977 schwappt) an, sich selbst zu organisieren.

DIY beschränkt sich nicht mehr allein auf die Musik. Konzerte und Venues werden in Eigenregie organisiert, Flyer, Plakate und Fanzines werden gedruckt, die Szene ist aktiv wie nie.

In Kalifornien formieren sich bereits 1976 die ersten Bands, unter ihnen die Dickies. Auch die Szene in der Hauptstadt Washington, kurz D.C., erwacht. In der Folgezeit entwickelt sich der Sound weiter. Härter, schneller, tiefer. Mehr Aggressivität ist das Credo, das ein ganzes neues Subgenre schafft: Hardcore.

Auch hier gibt es drei große Vertreter: Black Flag mit ihrem charismatischen Sänger Henry Rollins, die afro-amerikanischen Bad Brains und Minor Threat um Ian MacKaye. Währenddessen entwickelt sich in New York ein weiteres Genre, das unter anderem von Punk beeinflusst wird: No Wave.

In Großbritannien findet Punk, anders als in den USA, den Weg in die Charts. Und eine weitere Entwicklung zeichnet sich ab: Punk wird politisch. Auch wenn The Clash auf ihrem Debütalbum Themen wir Arbeitslosigkeit, Polizeigewalt und Diskriminierung ansprechen, gilt Crass als die wohl erste wirklich politische Band des Genres. Andere Bands wie Sham 69 und Angelic Upstarts folgen. Wegen ihrer populistischen Texte wird die Musik dieser Bands in das Subgenre Streetpunk eingeordnet.

Mehr Bands folgen jetzt dem Beispiel von The Clash und ziehen Einflüsse aus Reggae, aber auch aus Ska in ihre Musik ein. 2Tone entsteht und der Punk setzt international zum Siegeszug an. In Deutschland gibt es einige Bands, die eine Art Protopunk, orientiert an der Neuen Deutschen Welle, spielen, wie zum Beispiel Abwärts oder die Fehlfarben.

Während sich weltweit der Punk etabliert, entwickelt er sich in den Mutterländern bereits weiter. Die Bands entwickeln sich musikalisch weiter und schlagen zum Teil zugänglichere Richtungen ein. Sie läuten die Post Punk-Phase ein, das Genre New Wave ist geboren.

Zu bekannten Post Punk-Bands gehören The Fall, Joy Division, Gang Of Four und Public Image Limited von John Lydon, dem ehemaligen Sex Pistols-Sänger. In den USA ist immer noch Hardcore angesagt. Ian MacKaye und Mitstreiter Jeff Nelson gründen das Dischord Label, Minor Threat wird zur musikalischen Speerspitze der Straight-Edge-Bewegung. Straight Edger entsagen in der Regel dem Genuss von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und ernähren sich vegan. Strengere Auslegungen verlangen auch die Abstinenz von Koffein und eine gewisse sexuelle Enthaltsamkeit.

Neben den großen Drei des Hardcore entstehen Bands wie die Circle Jerks, die Germs, TSOL, Dead Kennedys, Hüsker Dü und Angry Samoans. Auch die Beastie Boys fingen als Hardcoreformation an. Diese Ausrichtung des Punk zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie von Anfang an politisch ist. Dies verstärkt sich, als 1981 Ronald Reagan zum Präsidenten der USA gewählt wird und einen konservativen Backlash auslöst.

Im Laufe der Jahre diversifiziert sich auch der Hardcore, und auch er verbreitet sich über den Planeten. No Means No, Neurosis und Slapshot gehören zu wichtigen Achtziger-Hardcorebands. Während diese Formationen (Neurosis mit Abstrichen) den Spielregeln des Hardcore folgen, schlagen Bands wie Snapcase innovativere Wege ein. In den Neunzigern entwickelt sich unter Hinzunahme von Metal-Elementen Metalcore.

Nach dem Jahrhundertwechsel bekommt der Hardcore eine, mit Bands wie Rise Against und Strike Anywhere, melodischere Note. Dem Hardcore verdanken wir übrigens nicht nur Straight Edge, sondern auch das Moshen und das Stage-Diven, respektive Crowd-Surfen. Trotz allem aggressiven Auftreten wird Solidarität miteinander in der Szene groß geschrieben.

Gleichzeitig leiden Hardcore wie Punk unter den engen Selbstbeschränkungen der Szene, die zum Beispiel von Straight-Edgern Intoleranz gegenüber Nicht-Straight-Edgern hervorbringt, oder kommerziell erfolgreiche Bands als Sell-Out verstößt. Grundsätzlich aber dominieren Offenheit und linksliberale bis anarchistische Werte Punkrock und Hardcore.

Aus dem britischen Streetpunk erwächst 1980 der Oi!-Punk. Berühmte Vertreter sind beispielsweise die Cockney Rejects, The Business und The 4-Skins. Parallel dazu entstand Poppunk. Die Ramones hatten vorgemacht, wie man Pop im Punk einbauen kann, die Buzzcocks und die Undertones folgen.

In den USA formieren sich Bad Religion (1980) und NoFX (1983), auch sie tragen ein großes Maß an Poppigkeit im Songwriting, auch wenn man es beim ersten Hören vielleicht nicht feststellt. Die kommerziell erfolgreichste poppige Punkband soll aber Green Day werden. In ihrem Fahrwasser stoßen auch Blink 182 und Good Charlotte in obere Chartregionen vor. Punk kommt im Mainstream an, das zeigt sich ab den Neunzigern zum Beispiel auch in der Mode. Höhepunkt der Vereinnahmung von Punk-Insignien ist wohl der schwarz-rot-goldene Irokesenschnitt von Christian Ziege bei der WM 2002.

Auch musikalisch gibt es ab der zweiten Hälfte der Achtziger kein Halten mehr: Der Punk dividiert sich in immer mehr Subgenres. Psychobilly, Punkabilly, Horror Punk, Ska Punk/Ska Core, Fun Punk, Skate Punk, Punk'n'Roll, Beat Punk, Melodic Punk sind nur einige Beispiele.

Auch in Deutschland hat sich die Szene in verschiedene Richtungen entwickelt, Bands wie Slime oder die Terrorgruppe haben einen ganz anderen Ansatz als beispielsweise Die Ärzte oder Die Toten Hosen. In einer ganz eigenen Liga spielen Die Kassierer, ebenso wie Die Goldenen Zitronen. In ganz Europa gibt es Szenen, vor allem in Schweden, in denen das renommierte Burning Heart-Label aktiv ist. Millencolin macht sich einen Namen, eine richtungsweisende schwedische Hardcore-Band ist Refused. Ihr Album "The Shape Of Punk To Come" gilt als eines der innovativsten Genre-Alben der Neunziger.

Heute halten Bands wie eben Bad Religion, NoFX, Rancid, The Offspring oder Green Day im Licht der Öffentlichkeit die Fahne des Punk hoch. Kommerzialität und Underground existieren nach wie vor nebeneinander, die Szenepolizei gibt es auch immer noch. In den Jahren der Bush-Regierung erfährt auch der politische Punk/Hardcore in den USA eine Erweckung.

Wer sich eingehender mit der Materie beschäftigen möchte, dem seien folgende Publikationen ans Herz gelegt: "Please kill me! Die unzensierte Geschichte des Punk" von Legs McNeil und Gillian MacCain, "Englands Dreaming" von Jon Savage, "Verschwende deine Jugend" von Jürgen Teipel und "If the kids are united - Von Punk zu Hardcore und zurück" von Martin Büsser. Sie dokumentieren den Punk generell, während John Lydon ein Buch über die Sex Pistols veröffentlicht: "Rotten - No Irish, No Blacks, No Dogs".

Halb Fiktion, aber trotzdem schön zu lesen, sind Rocko Schamonis "Dorfpunks" und Tony Parsons "Als wir unsterblich waren". Filmdokumentationen zum Punk gibt es sicher viele, zu den sehenswerten gehören: "American Hardcore" von Paul Rachman und "Punk Attitude" von Don Letts. Über die Sex Pistols gibt es den Dokumentarfilm "The Filth And The Fury" von Julien Temple, der ebenfalls einen sehenswerten Film über The Clashs Frontmann Joe Strummer gedreht hat, "The Future Is Unwritten". Einen Film über The Clash selbst gibts auch, Don Letts "Westway To The World".
 
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RAP
"What is Rap?
Well I'm gon' tell you.
We gotta tell y'all, babe.
I'm gon' tell you what is Rap!"

Seit 1979 die Sugarhill Gang mit "Rapper's Delight" den ersten kommerziell produzierten Rap-Song in den Äther schickte, unternahm bei weitem nicht nur die Dungeon Family einen Versuch, in Worte zu fassen, was das mittlerweile weltumspannende Phänomen Rap ausmacht. Sprache? Poesie? Prosa? Musik? Rap, Rhyme and Poetry, ist all das - und in der Summe viel mehr.
Rap beruft sich auf die Tradition afrikanischer Griots, umherwandernder Geschichtenerzähler, deren Worte seit Jahrhunderten Kultur und Überlieferungen ihrer Völker bewahren. Ähnlich wie das jamaikanische Toasting entwickelt sich Rap aus der Interaktion des Künstlers mit seinem Publikum.

Der einst gebräuchlichere Ausdruck "Emceeing" erlaubt einen Blick auf den Ursprung. Aus Song-Ansagen, Begrüßungen und Shout-Outs, Kommentaren, Sprüchen, Lobpreisungen einer höheren Macht oder schnöder Selbstbeweihräucherung entsteht eine eigene Kunstform. Länger werdende Texte mit immer komplexeren Reimen und Inhalten nehmen mehr und mehr Raum ein. Der Job ist vom DJ schließlich nicht mehr alleine zu bewältigen, er stellt sich einen Hypeman zur Seite. Das Mikrofon verleiht die Macht, der Mic Controller schwingt sich zum Master of Ceremony empor.

Den Zeilen der ersten kommerziell erfolgreichen Acts auf den Pfaden der Pioniere Kool DJ Herc oder DJ Hollywood ist diese Herkunft noch deutlich anzumerken: "Clap your hands everybody / If you got what it takes / 'Cause I'm Kurtis Blow / And I want you to know / That these are the breaks" macht Kurtis Blow seine Absichten unzweifelhaft deutlich. Nach den ausufernden Selbst-Vorstellungen der Furious Five kann jeder Fan die Namen der Herren auch dann herunterrasseln, wenn er soeben aus dem Tiefschlaf gerissen wurde: "We're one, two, three, four, five MCs / I'm Melle Mel and I rock it so well / And I'm Mr. Ness because I rocks the best / Rahiem in all the ladies' dreams / And I'm Cowboy to make ya jump for joy / I'm Kid Creole playin' the role. Dig this."

Kool Moe Dee erweitert das Spiel um eine neue Variante. Er integriert das Wettstreit-Element in die Rap-Musik. Als erster MC betont er im Duell nicht nur die eigenen Talente, sondern reitet ausgiebig und genüsslich auf den Schwächen seines Gegners herum. Sein Publikum erlebt die Geburtsstunde des Battle-Rap, der sich, neben zahllosen anderen Spielarten zu einem eigenen Sub-Genre entwickelt.

Waren die ersten Rap-Nummern noch reine Party-Songs, eröffnen sich in immer kunstvoller arrangierten Worten, ausgetüftelten Reimen, Alliterationen und Assonanzen ungeahnte Möglichkeiten. "The Message", ein Report aus dem Dreck der alltäglichen Realität von Grandmaster Flash & The Furious Five, stellt nur ein Beispiel unter unzähligen Tracks, die neben einem Lebensgefühl auch eine Botschaft zu vermitteln trachten. Public Enemy bezeichnen Hip Hop als "CNN of the Black Community". Rap, eine der vier Säulen der Hip Hop-Kultur, bildet ihr Sprachrohr.

Es bleibt nicht bei der Black Community. Hip Hop - und damit Rap - wird zur grenzüberschreitenden Bewegung. Sprechgesang ist zwar nach wie vor nicht jedermanns Sache, vor den Erklärungen der Fantastischen Vier kann jedoch auch ein deutschsprachiges Publikum kaum noch die Ohren verschließen: "Es hat ein für allemal mit Hip Hop nichts zu tun / Sich auf seinem alten Ghettoimage auszuruh'n / Zum Einen hat's für mich den Sinn zu sagen, wer ich bin / Zu beschreiben wo ich herkomm, und da ist's halt nicht so schlimm. / Zum Andern kann ich was ich denke so zum Ausdruck bringen / Indem ich meine Sprache nutze, doch vermeiden kann zu singen. / Das hat natürlich den Effekt, dass sich einige erschrecken / Denn ich kann mich ja jetzt gar nicht hinter Rap-Klisches verstecken. / Dennoch wird es einem ohne diese nie gelingen, in Germanien 'ne Hip Hop-Jam in Schwung zu bringen. / Drum zieh' ich die Konsequenz, die ich im Folgenden erklär': / Ich sag' 'Heb die Hand hoch' statt 'put your hands up in the air' / Ich sag 'He Leute, was geht ab' statt 'say ho' und 'motherfucker' / Hast du's jetzt noch nicht kapiert, na, dann scheiß dich halt vom Acker."

Mit Geschichte, Entwicklung und Auswirkungen der Macht von Rap ließen sich Bände füllen, nach deren Lektüre jemand, den das Fieber nicht gepackt hat, die Antwort auf die Frage "Was ist Rap?" dennoch bestenfalls streift. Überlassen wir das Schlusswort einem, der unter dem passenden Titel "Rap" ein umwerfendes Beispiel dafür liefert, dass Rap gleich drei Wünsche auf einmal befriedigen kann - Battle, Storytelling und Technik. Curse verbreitet - gemeinsam mit Heulboje Xavier Naidoo - eine überaus brauchbare Definition seines Genres: "Rap ist Soulmusik. / Sie ist da für die, die sie lieben und sie ehren. / Also vergiss es nie."

Vergiss es nie!
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Shoegazing
Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger entwickelte sich in Großbritannien eine neue Stilrichtung, Shoegazing - also "auf die Schuhe starren" - genannt. Nicht so unpassend, waren die Protagonisten doch eher unaufgeschlossene Genossen, die während der Konzerte meist auf den Boden starrten. Das könnte allerdings auch daran gelegen haben, dass verzerrte Gitarrenwände ihren Sound dominierten und sie deshalb ständig auf die Effektgeräte auf dem Boden schauen mussten.

Als Vorreiter des Sounds gelten My Bloody Valentine und die Cocteau Twins. In ihren Songs lassen sie Melodien und Gesang hinter gitarrenlastigen Feedback-Gewittern verschwinden. Hier treffen sich Noise und Pop-Songwriting, um - im Gegensatz zu früheren Noise-Bands - schöne, schimmernde Rock-Songs hervorzubringen.
Auch mit den Namen Alan Moulder und Alan McGee ist die Stilrichtung eng verbunden: Ersterer produziert nicht nur My Bloody Valentine, sondern auch die anderen Shoegazing-Helden Jesus And Mary Chain, Ride, Lush und Slowdive. Er entwickelt innovative Produktionsmethoden, die den vor Feedback strotzenden Sound erst ermöglichen. Der zweite Alan macht sich als Chef des britischen Creation-Labels einen Namen, auf dem er viele der Shoegazing-Protagonisten signt (später entdeckt er auch die Britpop-Helden Oasis).

Der Madchester Rave steht noch in vollen Zügen, als die britischen Musikzeitschriften Interesse an den weniger ravigen, mehr den Gitarren und dem ätherischen (Frauen-)Gesang zugewandten Bands entwickeln. Die meisten der aufkommenden In-Bands stammen aus dem Themse-Tal im Südosten Englands.

Den Höhepunkt erreicht Shoeganzing in den Jahren 1992 und 1993. Zu dieser Zeit erscheinen einige wegweisende Alben wie "Spooky" von Lush, Rides "Going Blank Again" und "XYZ" von Moose. Doch schon 1993 bahnt sich an, dass sowohl Publikum als auch Presse langsam genug von dem gerade noch populären Stil haben. Mit Bands wie Suede und Oasis hält Britpop Einzug ins Bewusstsein musikbegeisterter Engländer. 1995 und 1996 lösen sich mit Slowdive, Ride (deren Mastermind Andy Bell später bei Oasis einsteigt) und Lush einige der wichtigsten Shoegazing-Bands auf. Das Ende des Genres ist spätestens damit endgültig besiegelt.
 
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Singer/Songwriter 
Der Begriff des Singer/Songwriters (auch Singer-Songwriter) war ursprünglich eng definiert: Ein Musiker, der seine Lieder nicht nur selbst schreibt, sondern auch singt und umsetzt, meist mit einer Gitarre. Ob er in Zusammenhang mit Bob Dylan entstanden ist, lässt sich nicht eindeutig beweisen. Fest steht, dass der Mann aus Duluth, Minnesota vor seinem "Wandel" zu rockigeren Klängen Mitte der 1960er Jahre als Prototyp des Singer/Songwriters galt.

Am Beispiel Dylans lassen sich weitere Merkmale festhalten: Die Ernsthaftigkeit der Themen, denen oft reale Ereignisse (so genannte "Topical Songs" ) und kaum verschleierte persönliche Erfahrungen zu Grunde liegen, einen gewissen Abstand vom Glamour der Popwelt und eine Herkunft aus Nordamerika, bevorzugt aus den USA.
In der New Yorker Tin Pan Alley drängten sich bis in die 1950er Jahre die Büros der Songwriter-Agenturen, die am Fließband Lieder komponierten. Oft kümmerten sich Arrangeure um die Musik, schließlich spielten Sänger die Texte ein. Im Singer/Songwriter sind diese drei Aspekte theoretisch vereint.

Doch so einfach ist es nicht. Schon vor Dylan gab es die Figur des furchtlosen Anprangerers widriger Verhältnisse: Pete Seeger etwa, Leadbelly und allen voran Woody Guthrie – nur eben nicht so bekannt und erfolgreich, dass man für sie eine eigene Genrebezeichnung gebraucht hätte. Außerdem scheuen sich die wenigsten, die Lieder Anderer zu interpretieren, womit sie streng genommen aus der Kategorie wieder herausfallen.

Einen ersten Höhepunkt erreicht die Bewegung mit den Studentenprotesten in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, um anschließend nach den ersten großen weiblichen Vertretungen, Joni Mitchell und Carole King, in der ersten Hälfte der 70er Jahre unterzutauchen. Rock und Disco sind zu diesem Zeitpunkt eben sexier.

Doch ausgestorben ist die Bewegung nie. In Großbritannien tritt Billy Bragg zu Beginn der 80er Jahre auf Gewerkschaftsveranstaltun gen in Erscheinung, Bruce Springsteens Solowerk "Nebraska" verhilft dem Genre 1982 zu neuer Aufmerksamkeit. Doch sind es vor allem Frauen, die ab Mitte der 80er Jahre die Fahne des Singer/Songwritertums hoch halten. Allen voran Tracy Chapman und Suzanne Vega, wobei Vega eher in anspruchsvollen Pop-Gefilden siedelt.

Die Grenze zu ziehen ist eh nicht einfach. Gehört Paul Simon dazu, obwohl er zu den kommerziell erfolgreichsten Musikern zählt? Was ist mit Ani diFranco? Sie spielt Klavier und steht auf Indie-Klänge. Wo steht Sheryl Crow, die mit jedem neuen Album die oberen Etagen der Charts erklimmt? Wie steht es mit Dave Matthews oder Ben Harper? Der Stoff für Diskussionen geht nicht aus, wie man im Internet leicht feststellen kann.

Ebenso kontrovers ist das Ziehen nationaler Grenzen. Obwohl viele der genannten Musiker aus New York stammen oder dort ansässig sind, sind deutsche Liedermacher wie Reinhard Mey oder Franz Josef Degenhardt von der Einstellung her mit ihnen verwandt, ebenso französischsprachige Chansonniers wie George Brassens und Jacques Brel oder Italiener wie Gino Paoli und Fabrizio De Andrè. Mit ihren anspruchsvollen Texten erlangten in den jeweiligen Heimatländern alle große Aufmerksamkeit, obwohl sie im Ausland kaum bekannt sind.

Fest steht, dass die Figur des Singer/Songwriters im engen Sinne im neuen Jahrtausend wieder dort gelandet ist, wo sie anfing: in Eckkneipen und kleinen Clubs und nur bei wenigen Festivals auf der großen Bühne. Hart verdientes Brot. Doch wer vorrangig von den Schattenseiten des Lebens berichtet, hat nicht unbedingt Interesse am großen kommerziellen Erfolg.
 
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Visual Kei
Der Begriff Visual Kei wurde in Japan an sich nur als Überbegriff für optisch auffällige Musiker und ihre Fans aus unterschiedlichen, musikalischen Richtungen geprägt. Zusammen gesetzt aus dem englischen Begriff visual (visuell, optisch) und dem japanischen Zeichen 'kei' (Clique, Herkunft, System, Stil), beschreibt er inzwischen eine Musikrichtung, die sich irgendwo in der Schnittmenge aus Grunge, Metal, Industrial und Gothic abspielt, doch auch Pop und Folk sind nicht ausgeschlossen.

Die Musiker des Visual Kei sind zum größten Teil männlicher Natur, als solche aber kaum mehr erkennbar. Ob man das nun als Transe bezeichnen mag oder nicht, jedenfalls verwenden sie mindestens so viel Make-Up, stylen ihre Haare entsprechend, tragen farbige Kontaktlinsen und geben sich auch in ihrer Gestik sehr feminin. Hinzu kommt ein Kleidungsstil, der sowohl Kimonos und andere historisierende Kleider beinhalten kann als auch Lack- und Leder-Outfits. Auch die Instrumente sind mitunter auf dieses Styling ausgerichtet. Der Personenkult um die einzelnen Künstler nimmt derweil schon abstruse Ausmaße an.
Als ursprüngliche Einflüsse müssen wohl die Musiker des Glamrock der frühen 70er herhalten und somit Künstler wie David Bowie, Kiss, Twisted Sister oder auch Bands wie Visage, Siouxsie And The Banshees oder Alien Sex Fiend. Zu den ersten Bands, die in Japan diesen Stil gelebt und verbreitet haben, zählen X (später X-Japan), Luna Sea und Malice Mizer. Um 2005 sind es Gruppen wie Dir En Grey, MUCC, Hyde oder D'espairsRay, die auch in westlichen Ländern wie Deutschland, Frankreich und den USA Fuß fassen.

Auch dort kommt es nach und nach zur Bildung von Visual Kei-Bands, wobei die Diskussion läuft, ob man in solchen Fällen nicht eher von Visual Rock-Bands sprechen sollte, da der philosophische Background ein anderer ist. Die trans- bzw. homosexuellen Tendenzen, die den Musikern oft unterstellt werden, sind kaum zu halten, da sich das japanische Schönheitsideal einfach deutlich vom europäischen oder amerikanischen unterscheidet. Es geht vielmehr darum aufzufallen, bestaunt zu werden, anders zu sein und zu schockieren. So kann man vielleicht sogar eine Laune des Musicbiz wie Tokio Hotel erklären.

 

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